„Welchen Film hat dein Gehirn gesehen?“. Grafik (KI-generiert)

Und, welchen Film hat dein Gehirn gesehen?


Gießen, 03. September 2024. Ob zwei Menschen die nebeneinander vor einer Leinwand sitzen und dasselbe sehen oder beide etwas anderes, das haben Forschende der Justus-Liebig-Universität zu Gießen untersucht. Blickbewegungen führen zu verschiedenen Versionen desselben Films in unseren Köpfen. Die Ergebnisse im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS) erschienen.

Tatsächlich hat jeder Zuschauer eine etwas eigene Variante des Films im Kopf, jedes Gehirn erlebt seines eigene Version des Films.
Füße, Hände, Nasen, Ohren – menschliche Körper bestehen aus immer gleichen Teilen, aber ihre Anatomie unterscheidet sich von Person zu Person. Das gilt auch für das Gehirn und seine Aktivitätsmuster. Die beiden NeurowissenschaftlerInnen Petra Borovska und Prof. Dr. Ben de Haas von der Abteilung für Allgemeine Psychologie der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) nutzen funktionelle Magnetresonanztomographie und maschinelles Lernen, um diese Gehirnaktivitäten vergleichbar zu machen. Mittels dieser Technologie wurden die Folgen individueller Blickbewegungen zu untersuchen.

„Blickbewegungen galten traditionell als einfache Reaktion auf das, was vor unseren Augen geschieht“, erklärt de Haas. „Aber inzwischen wissen wir, dass das nicht alles ist. Blickbewegungen sind so individuell wie Persönlichkeitsmerkmale. Einige Menschen fokussieren mehr auf Gesichter, andere auf Text oder andere Details.” Borovska ergänzt: “Wir hatten die Vermutung, dass diese individuellen Blickgewohnheiten zu einer einzigartigen Welt in den Köpfen der Menschen führen. Jetzt wissen wir: Das stimmt! Wir konnten sogar vorhersagen, wie sehr sich die Gehirnaktivitätsmuster zwischen zwei Menschen unterscheiden, wenn wir die Ähnlichkeit ihrer Blickbewegungen in einem separaten Experiment erfasst haben, mit mehreren Tagen Abstand. Es ist erstaunlich, dass Blickbewegungen zu stärkerer neuronaler Aktivität führen, diese Aktivitätsmuster jedoch gleichzeitig weniger vergleichbar machen. Normalerweise bedeutet ein stärkeres Signal klarere Daten, aber hier ist das Signal – also die neuronale Repräsentation des Films – eben verschieden, eine Art director’s cut des individuellen Hirns.”

Das Team untersucht derzeit, wie sich Blickbewegungen im Laufe des Lebens entwickeln und wie sie unser Verständnis von Szenen und alltäglichen Aufgaben beeinflussen. „Es gibt noch so viel zu entdecken“, meint de Haas. “Man kann sogar den Sitznachbarn im Kino fragen: ‘Welchen Film hast Du gesehen?’”

Originalpublikation:

Petra Borovska, Benjamin de Haas: Individual gaze shapes diverging neural representations, Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), August 30, 2024, 121 (36) https://doi.org/10.1073/pnas.2405602121


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