Gesichtsmorphing kombiniert die Merkmale zweier (oder mehrerer) Gesichter. Quelle: Jan Rubinowicz via Wikimedia

Wie wenig Information unser Gehirn für Gesichtserkennung braucht


Menschen können Gesichter in Überlagerungen von bis zu acht Bildern identifizieren. Vertraute Gesichter werden zuverlässiger erkannt. Mögliche Anwendungen liegen in der Verhinderung von Identitätsbetrug. In kommunikativer Hinsicht nicht nur Überlebensnotwendig sondern auch gesellschaftlich von hoher Relevanz.

Tübingen/Germany, 8. Dezember 2025. – „Nur durch den anderen kommt der Mensch zur Klarheit über sich selbst“, hat der Philosoph & Psychater Karl Jasper (1883 – 1969) einmal im Hinblick auf die Tatsache gezeigt, das eine Existenz nicht alleine zur Selbstverwirklichung gelangen kann. Es benötigt das Andere und damit Kommunikation.
Betrachtet man die berühmte Bedürfnispyramide des Bedürfnisforschers Abraham Maslow (1908 – 1970), dann ist die Selbstverwirklichung der letzte Schritt vor der, ebenfalls durch Maslow bestimmten und zuletzt vor seinem Tod korrigierten Transzendenz. Ein Ziel der Selbstverwirklichung ist mitunter die Vollendung charakterlicher Eigenschaften. Und diese, so hat es sowohl Maslow als auch Jaspers beschrieben, wird nur noch durch das kommunikative erreicht werden. Auch der Philosoph und Psychoanalytiker Erich Fromm (1900 – 1980) beschrieb in „Die Kunst der Liebe“, das wir durch die Liebe im anderen ganz bei uns selbst seien. Demnach gehört auch eine gewisse Liebe zum Menschsein dazu, wenn Menschen sich in dieser Hinsicht entwickeln wollen und werden.

Ab welchem Zeitpunkt ist es Menschen nicht mehr möglich die identitären Grundzüge eines Menschen zu entziffern? Es könnte also dieses Geheimnis sein, dass Menschen in sich tragen. Die außergewöhnliche Fähigkeit, die besondere innere Gabe uns genau diese Merkmale als Erinnerungswert einverleibt zu haben, die ein hohes Mass an Wiedererkennung ermöglicht. Unabhängig vom Motiv einer gewissen Eigenliebe oder gar des Altruismus. Denn, so beschreibt genau diesen Umstand die Studie.
Doch Jaspers zeigt in ebensolcher weise, – was angesichts des Todes wesentlich bleibt, ist existierend getan; was hinfällig wird, ist bloßes Dasein – (Vgl. et al Philosophie, 2023). Der Tod muss nicht zwangsläufig physischer Natur sein. Tod erfüllt auch dann ein Leben, wenn neues Leben entdeckt wird. So wird der Weisheit der Prozess zugeschrieben diese nur dadurch erlangen zu können, das altes erkanntes, vergangenes zu opfern war. Insofern reduzieren sich Menschen mit zunehmendem Alter auf wesentliche Werte. In jungen Jahren baut man wie bei einer Zwiebel Schutzmechanismen auf, die mit wachsendem Alter abzulegen sind.

Tatsächlich sind Menschen bemerkenswert gut darin Gesichter trotz Veränderungen zu erkennen. Wer ein Gesicht ansieht, zusieht wie Menschen sich bewegen tut das umso genauer, je mehr Menschen sich in irgendeiner Weise ähneln. Wenn Menschen älter werden, bleibt in vielem doch das kindliche erhalten das man trotz eines erkennbaren Alterungsprozesses wahrnehmen kann. Ob jemand also tatsächlich gealtert ist, ob dünner oder dicker, ob Behaarungen zugenommen oder nachgelassen haben, eine Schönheitsoperation etwas eine Veränderung mit sich brachte, die Grundzüge bleiben erhalten.
Es sind nicht nur die Momentaufnahmen, die man in einem anderen Gesicht erkennen kann, was als Mikroexpression bezeichnet wird. Das Gesicht ist das einzige Organ im Körper, bei dem die Muskulatur nicht ausschließlich über Gelenke geht, sondern direkt vom Schädelknochen an das innere Hautgewebe führt. Diese so feine Muskulatur zeigt nach außen jedes noch so kleine Detail charakterlicher Veränderung. Ein zentraler Grund, warum charakterliche Veränderungen im Gesicht nach überschaubarer Zeit erkennbar sind. Besondere Auffälligkeit hat dieser Umstand vor allem während der Entwicklungsphase junger Menschen bis ins junge Erwachsenenalter.
Möglicherweise ist für viele Menschen der Freudsche Ödipuskomplex bekannt, der beinhaltet, das heranwachsende in abwechselnder Weise den Charakter der Eltern verinnerlichen und damit durch die Gesichtszüge zum Ausdruck bringen. Da heißt es dann in etwa, man sehe sehr der einen oder anderen Mutter ähnlich, vielleicht auch dem Vater. Dabei spielt die biologische Herkunft weniger eine Rolle, sondern die vermittelte Identität während der Austauschphasen. Dieses Wechselspiel bleibt so lange erhalten wie sich die jeweiligen Charaktere übertragen und damit in der Regel ein Leben lang. Stabilität erlangt man ab einem bestimmten Reifegrad und damit der Herausbildung der eigenen stabilen Identität.

Seit vielen Jahren schon ist die Frage danach wie gut Menschen Gesichter erkennen können, wenn wichtige Identitätsmerkmale unscharf sind oder wenigstens reduziert sind, Gegenstand der Forschung. Das wird nachvollziehbar wenn man sich das moderne Problem von Identitätsdiebstahl durch das Internet oder mehr klassisch, durch Betrug von Ausweisdokumenten vor Augen hält.
Bisherige Studien haben jedoch nicht genau bestimmt, ab welchem Grad der Veränderung es nicht mehr möglich ist, ein Gesicht zu identifizieren.
Forschende des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik in Tübingen und der University of East Anglia in Norwich (UK) sind dieser Frage nun mithilfe von Morphing dreidimensionaler Gesichter nachgegangen. Bei diesem Verfahren werden die Merkmale zweier oder mehrerer Gesichter rechnerisch miteinander kombiniert, sodass ein einziges Bild entsteht, das wie eine Mischform der Ausgangsgesichter wirkt.

Die Grenzen der Gesichtserkennung

Den Studienteilnehmenden konnten in Bildern, die aus drei verschiedenen Gesichtern zusammengesetzt waren, im Durchschnitt etwa die Hälfte der ursprünglichen Gesichter korrekt erkennen. Mit zunehmender Anzahl kombinierter Gesichter nahm die Erkennungsgenauigkeit ab. Selbst bei Mischungen aus acht Gesichtern lagen die Identifikationsraten jedoch immer noch über dem Zufallsniveau.
„Dies deutet darauf hin, dass Gesichtserkennung auch dann möglich ist, wenn man lediglich ein Achtel seiner Identitätsmerkmale zur Verfügung hat“, kommentiert Isabelle Bülthöff vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, Hauptautorin der Studie. Jenseits dieser Schwelle stößt die Erkennung jedoch an ihre Grenzen: Bei Mischungen aus zehn Gesichtern sank die Fähigkeit der Teilnehmenden, die Gesichter korrekt zu identifizieren, auf Zufallsniveau.
Darüber hinaus stellte das Team fest, dass die Versuchspersonen ihnen bekannte Gesichter in den Morphs zuverlässiger erkannten, vor allem besonders vertraute Gesichter wie die von Familienangehörigen oder Freunden. Die Ergebnisse verbesserten sich zudem, wenn die Teilnehmenden die Originalbilder sehen konnten, anstatt sich allein auf ihre Erinnerung an die Personen zu verlassen.
Die Studie lässt jedoch offen, ob die Ergebnisse auch davon abhängen, ob besonders markante oder eher durchschnittliche Gesichter identifiziert werden sollen. Weitere Untersuchungen sind nötig, um besser zu verstehen, wie die individuellen Besonderheiten eines Gesichts seine Erkennung unter erschwerten Umständen beeinflusst.

Bedeutung in der Künstliche Intelligenz

Wenn man durch den elektronischen Sucher einer Kamera (Fotoapparat) blickt, dann sieht man in aller Regel einen Rahmen der den Schärfebereich der Kamera hervor hebt. Diesen kann man heute beliebig erweitern, reduzieren punktuell oder auf ganze Flächen einstellen. Wenn eine (Film-) Kamera ein Objekt erfasst, dann nennt sich dieses Objekterfassen „Regional Proposal Network“ (RPN) ein regionales Vorschlagsnetz. Ein Objektdetector codiert eine grosse Sammlung von Bounding Boxes (umgebende Rahmen) als Karte mit gleicher Größe. Es wird ein Netz erstellt, das eine Punktzahl für jeden Rahmen vergibt. Menschliche Merkmale können jeweils Objekte werden. Ist ein Objekt im Rahmen, ist die Punktzahl hoch, kein Objekt, ist die Punktzahl niedrig. Das Netz wird auf die jeweilige Erkennung trainiert. Ein Gesicht wird erfasst und wird damit vergleichbar gemacht. Ein Region of Interest (ROI) wird von einem Klassifikator überprüft. Die Pixel in den Rahmen sind zwar nicht immer die gleichen, wenn es um Vergleichen und automatisches Klassifizieren geht. Aber es können gleiche Anzahlen von Merkmalen herausgefiltert werden, die dann mit Stichproben von Pixeln verglichen werden. Diese Merkmale werden später extrahiert, was als ROI-Pooling bezeichnet wird und damit eine Merkmalskarte mit festen größen an den Klassifikator übergeben. Ein Prozess der Softwaretechnologisch umgesetzt würde (Vgl. KI, 2023, S. 996).

Tumisu Pixabay
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Originalpublikation:

Mintao Zhao, Isabelle Bülthoff: How much face identity information is required for face recognition? Cognition, Vol. 262, 2025.

Quellen
Kunzmann, Peter; Burkard, Franz-Peter; Weiß, Axel; Philosophie, dtv-Atlas, 19. Auflage, 2023

Russell, Stuart; Norvig, Peter; Künstliche Intellingez, Ein moderner Ansatz, 2023, Pearson Verlag

Weitere Infos

System adaptiert Forschende können Gesichtsausdrücke von Bonobo-Affen genau analysieren, 2025
http://de.gate-communications.com/system-adaptiert-forschende-koennen-gesichtsausdruecke-von-bonobo-affen-genau-analysieren/

Wahrnehmung von Gesichtern im emotionalen Kontext, 2024
http://de.gate-communications.com/wahrnehmung-von-gesichtern-im-emotionalen-kontext/

Wissenschaftler entdecken Zusammenhang zwischen Genen und Gesichtsform, 2023
http://de.gate-communications.com/wissenschaftler-entdecken-zusammenhang-zwischen-genen-und-gesichtsform/

Sehen will gelernt sein – Unsere Wahrnehmung verändert sich mit der Erfahrung, 2025
http://de.gate-communications.com/sehen-will-gelernt-sein-unsere-wahrnehmung-veraendert-sich-mit-der-erfahrung/

HSBI-Fotografiestudentin nimmt 37 verschiedene Selbstporträts auf – und entlarvt weibliche Stereotypen, 2025
http://de.gate-communications.com/hsbi-fotografiestudentin-nimmt-37-verschiedene-selbstportraets-auf-und-entlarvt-weibliche-stereotypen/

Beim Erkennen von Kontrasten und Bewegungen arbeiten die Nervenzellen im Auge zusammen, 2025
http://de.gate-communications.com/beim-erkennen-von-kontrasten-und-bewegungen-arbeiten-die-nervenzellen-im-auge-zusammen/

Bildquelle
Gesichtsmorphing kombiniert die Merkmale zweier (oder mehrerer) Gesichter. Quelle: Jan Rubinowicz via Wikimedia


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