Ob in der Politik, im Marketing oder in der Medizin: Narrative – also Geschichten mit wiederkehrenden Erzähl- und Handlungsmustern – bestimmen zunehmend, wie wir die Welt wahrnehmen, verstehen und gestalten. Vom 29. September bis 1. Oktober 2025 treffen sich an der Bergischen Universität Wuppertal rund 120 Wissenschaftler*innen aus ganz Europa zur 8. Konferenz des European Narratology Network (ENN). Ihr Thema: die „Grenzen des Erzählens“.
Wuppertal/Germany, 2. September 2025. – Narrative sind Erzählungen. In moderneren Formen geht es um Storytelling, eine Geschichte zu erzählen. Der Begriff ist dem lateinischen Narratio entnommen, was grob umschrieben Bericht oder Erzählung meint. Der Philosoph Jean-Francois Lyotard startete solche Erzählungen mit seinem Buch „Das postmoderne Wissen“ worin es um Erzählungen von Freiheit, Aufklärung oder Reichtum geht.
Verfolgt man die Evolution, dann wachsen Menschen mit zunehmender Evolution enger zusammen, so ergäbe sich daraus eine Geschichte die in ihrer Gesamtheit erfassbar wäre. Lyotard stellt in seinem Werk heraus, das es nicht mehr die grossen gemeinsamen Erzählungen sind, sondern viele kleine und das diese einzelnen Geschichten die Welt in ihrem Inneren nicht mehr zusammen halten würden. Viele einzelne Geschichten führten nicht mehr zu einem grossen gemeinsamen ganzen.
Narrativen liegt nahe der Darstellung einer realen Welt aus einer bestimmten Perspektive zu betrachten, vielleicht einer wie ich sie selbst gerne sehen möchte oder haben möchte. Damit besteht die grosse Chance kurz oder mittelfristig Menschen für meine Zwecke zu erreichen, Manipulationen.
Die Geschichten hängen stark davon ab, was ich selbst weis, was ich einem Narrativ entgegensetzen könnte oder an was ich glaube. Die Bibel beschreibt daher das Wort Gottes als das Alpha und das Omega, das erste (als Motiv) das letzte (das Ziel) als das was Menschen in einer wahren Geschichte zusammen führt.
Aktuell leben wir in einer Zeit, in der es darum geht das Menschen sich Gruppen anschließen, gleichgesinnten Organisationen mit Zielen die den meinen entsprechen. Demnach outen oder positionieren sich Organisationen und machen deutlich wofür sie stehen. Damit wird versucht Menschen mit gleichen oder ähnlichen Motiven zu erreichen und durch diese Form der Organisation nicht nur mehr Glaubwürdigkeit zu vermitteln, sondern allem voran auch Loyalität. Wir sprechen gemeinsam eine Sprache ohne dabei den Willen des einzelnen, der einzelnen zu brechen. Eine Form natürlicher Macht, eine Form natürlichen Folgens.
Stellt sich aber heraus das ein narrativ nur dazu verwendet wurde um Menschen für sich, für die eigenen Zwecke zu gewinnen dann ist das Vertrauen zunächst unwiderruflich zerstört. Ein Problem das sich gegenwärtig in seiner ganzen Größe aufbäumt. Die Zunahme an Insolvenzen ist ein Indikator dazu.
Die Erzählung ist damit nicht nur eine zentrale Technik der Literatur. Erzählungen sind in der Gesellschaft immer ein viel genutztes Mittel gewesen um reale Ereignisse darzustellen und deren Bedeutung zu kommunizieren. Solche kollektiven Erzählungen versprechen Sinnstiftung und Orientierung. Mit Narrativen und damit verbundenen Wahrheitsversprechen lassen sich Menschen locken und zu Strategien motivieren, die sie im Ursprung vielleicht gar nicht wollten.
Irgendwann stellen sich diese Narrative dann als Lügen heraus um eines Zweckes willen. Dabei nutzt man häufig Mittel zur Manipulation wie emotional aufgeladene Fakten, vereinfacht komplexere Zusammenhänge wo dies nicht ohne weiteres möglich ist und spannt die Realität in spannende Geschichten, die so nicht existieren können.
Wie groß solche Gefahren werden oder sein können zeigt das bekannte Beispiel des amerikanischen Traums. Jeder Mensch hat angeblich die Chance vom Tellerwäscher zum Millionär werden zu können. Inzwischen führt eine Vielzahl von Start-up Unternehmen auf der ganzen Welt aus, das es unter besonderen Bedingungen in einer Garage begonnen hatte, wie man das von Bill Gates und Microsoft kennt.
Bei vielen prägt dieses Narrativ die Vorstellungen von Amerika als Land der unbegrenzten Möglichkeiten. „Narrative sind machtvoll – sie können verbinden, erklären, manipulieren oder verschleiern“, sagt Organisator Prof. Dr. Matías Martínez vom Zentrum für Erzählforschung der Bergischen Universität. „Gerade in Zeiten von Fake News, politischem Storytelling und KI-generierten Texten ist es zentral, die Mechanismen und Wirkungen von Erzählungen zu verstehen“, ergänzt Co-Organisator Prof. Dr. Michael Scheffel.
Die Konferenz an der Bergischen Universität beleuchtet kritisch, wo Narrative an ihre Grenzen stoßen – und wann sie gefährlich werden.
Im Fokus der Tagung stehen Fragen wie: Welche gesellschaftlichen, kulturellen oder medialen Entwicklungen haben zur derzeitigen Erzähl-Inflation geführt? Wie verändert Künstliche Intelligenz das Erzählen? Wo sind Narrative als angemessene Erkenntnisform überfordert – etwa in Wissenschaft, Wirtschaft oder Politik? Was unterscheidet legitime Erzählstrategien von problematischer Manipulation?
Wuppertaler Expertise
Die Expertise der Bergischen Universität im Forschungsfeld des literarischen und nicht-literarischen Erzählens ist europaweit anerkannt. Seit der Gründung des Zentrums für Erzählforschung im Jahr 2007 wird hier disziplinübergreifend auch zu „Wirklichkeitserzählungen“ gearbeitet – also zu Formen des Erzählens, die nicht der Fiktion, sondern der Deutung realer Lebenswelten dienen.
Dazu gehören neben großen europaweiten Verbundforschungsprojekten auch praxisnahe Projekte in der Region, etwa in Zusammenarbeit mit Unternehmen, die Organisation von öffentlichen Veranstaltungen wie im Rahmen der Poetikdozentur für faktuales Erzählen, bei der bekannte AutorInnen für Lesungen und Diskussionen nach Wuppertal kommen, und die Herausgabe des digitalen Journals DIEGESIS, das zweimal im Jahr mit Beiträgen zum Erzählen in allen Medien und Kontexten erscheint. Jede Ausgabe setzt außerdem einen thematischen Schwerpunkt.
„Wer sich mit Erzählungen auskennt, wird nicht nur gute Bücher besser schätzen, sondern auch seine Lebenswelt besser beherrschen“, betont Michael Scheffel. Matías Martínez nennt das Faktualitätskompetenz: „Wenn ein Text oder ein mündlicher Bericht den Anspruch erheben, die reale Welt zu beschreiben, dann erzählen sie im Gegensatz zum Fiktionalen von unserer Wirklichkeit und nicht von einer ausgedachten Welt; inwieweit sie das auch wahrheitsgemäß tun, kann ich besser einschätzen, wenn ich die Verfahren erkenne, mit denen erzählt wird.“
Am Zentrum für Erzählforschung der Bergischen Universität tragen die Forschenden aus unterschiedlichen Perspektiven dazu bei, dieses Wissen zu generieren und zugänglich zu machen. Im Rahmen der Fachtagung tauschen sie sich mit KollegInnen aus ganz Europa aus. Die Konferenzbeiträge werden im Nachgang veröffentlicht.
Weiterführende Informationen zur Tagung
Die ENN8 Conference „Limits of Narratives” ist eine Fachtagung und findet komplett auf Englisch statt. Sie richtet sich an alle, die in einem weitgefassten Kontext zu Narrativen forschen. Die Anmeldung zur Teilnahme ist noch geöffnet. Alle Informationen zur Tagung stehen auf der Webseite https://enn8.uni-wuppertal.de zur Verfügung.
Weitere Informationen:
https://www.zef.uni-wuppertal.de/de/ – Zentrum für Erzählforschung
https://50jahre.uni-wuppertal.de/de/jubilaeumsblog/diegesis-erstes-open-access-j… – mehr zum digitalen Journal DIEGESIS
https://poetikdozentur.uni-wuppertal.de/de/ – Poetikdozentur für faktuales Erzählen
Bildquelle
Copyright: Colourbox, Überall Geschichten. Ihre Wirkung kann gemildert werden wenn man weis wie Erzählungen funktionieren und wie sie eingesetzt werden.



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