Schimpansenmama mit Kind

Verblüfende Ähnlichkeit von Mutter-Kind-Bindungstypen zwischen Mensch und Schimpansen


Ähnlichkeiten zwischen Menschen und Affen sind unübertroffen. Eine Studie zieht enge Parallelen zwischen der menschlichen Psyche und Schimpansen. Forschende des CNRS Instituts für Kognitionswissenschaft der Université Claude Bernard in Lyon und des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig haben erstmals verschiedene Typen von Mutter-Kind-Bindungen bei freilebenden Schimpansen im Taï-Nationalpark in der Elfenbeinküste identifiziert. Die Studie liefert überzeugende Belege dafür, dass junge Schimpansen – ähnlich wie menschliche Kinder – sichere und unsicher-vermeidende Bindungsmuster zu ihren Müttern entwickeln. Im Gegensatz zu Menschen und einigen in menschlicher Obhut lebenden Schimpansen zeigen freilebende Schimpansen jedoch keine desorganisierten Bindungen.

Leipzig/Germany, 12. Mai 2025. – Die ersten 7 Jahre so heisst es, ist die Zeit in der Kindheit die für das gesamte spätere Leben die Stabilität oder Instabilität bestimmt. Insbesondere unmittelbar nach der Geburt beginnt die Phase der Einverleibung bei der auch die Spiegelneuronen als Bindungselemente ihre Aufgaben wahrnehmen. Das Kind kopiert was es fühlt und wahrnimmt. Danach das Gegenteil, das Kind versucht sich in Autonomie, unabhängig von den Bezugspersonen. Die Mutter bleibt in allen Fällen aber die uneinnehmbare Festung für das Kind, eine Lebenslange Symbiose, von der Fromm meint, liebende Mütter suchen ein Leben lang die Kinder von sich zu trennen. Anders als viele renommierte Psychologen wie bsw. Carl Gustav Jung oder Alfred Adler welche die Sozialisierungsarbeit auf bestimmte Zeitpunkte festgelegt hatten, ist Heide Göttner-Abendroth der Auffassung das Kinder zu jedem Zeitpunkt eine gewisse Aufmerksamkeit und Achtsamkeit besitzen und daher durch alles sozialisiert werden was in ihrem Umfeld passiert.

Forschende wissen seit langem, dass die frühe Bindung an Bezugspersonen eine entscheidende Rolle in der menschlichen Entwicklung spielt. Beim Verhalten von Schimpansen konnten nun menschenähnliche Verhaltensmuster entdeckt werden. Die Forscherinnen und Forscher beobachteten über einen Zeitraum von vier Jahren das Verhalten freilebender Schimpansen im Taï-Nationalpark in der Elfenbeinküste. Junge Schimpansen entwickeln, genau wie Menschenkinder, verschiedene Typen von Bindungen zu ihren Müttern. Einige fühlen sich sicher, verlassen sich in Zeiten der Not auf ihre Mutter und erkunden selbstbewusst ihre Umgebung, weil sie wissen, dass die Mutter für sie da ist. Andere haben eine unsicher-vermeidende Bindung, was bedeutet, dass sie unabhängiger sind und nicht so sehr den Beistand der Mutter suchen. Im Gegensatz zu Menschen, bei denen 23,5 Prozent der Kinder eine desorganisierte Bindung haben, und in menschlicher Obhut lebenden Schimpansenwaisen, von denen 61 Prozent diesen Bindungstyp aufweisen, zeigen Schimpansen in freier Wildbahn keine Anzeichen desorganisierter Bindung.

Keine desorganisierte Bindung bei freilebenden Schimpansen

Der Humanpsychologe Abraham Maslow konnte seinerzeit zeigen, das sich im Falle von Verunsicherungen in der Kindheit das Denken auf dieses Unsicherheitsbewusstsein determiniert. Zur Architektur der Sicherheitsbedürfnisse zählen mitunter, Stabilität, Geborgenheit, Schutz, Angstfreiheit, das Bedürfnis nach Struktur, Ordnung, Gesetze, Grenzen, u.a.. Wie bei allen Bedürfnissen des Menschen gilt vor allem Sicherheit als mächtiges Instrument – wird die Sicherheit im Denken zum Anspruch, wird es zum dominierenden gedanklichen Ziel die Sicherheit erreichen zu wollen. Damit beginnt sich das gesamte Wertesystem des Menschen nach und nach unterordnen und seine gesamte gegenwärtige Weltanschauung und Philosophie, seine Zukunftsplanung wird darauf determiniert, solange bis der Wunsch nach Sicherheit befriedigt ist.

Beim Menschen entsteht eine desorganisierte Bindung, wenn ein Kind Angst, Trauma oder Aggression durch seine Bezugsperson erlebt. Als Folge kann das Kind widersprüchliche Verhaltensweisen zeigen, indem es Zuneigung sucht, aber auch Angst vor der Bezugsperson hat. Diese Art der Bindung kann zu Schwierigkeiten bei der Emotionsregulation, der sozialen Integration und zu langfristigen psychischen Problemen führen. Eine desorganisierte Bindung gilt als maladaptiv bzw. schlecht angepasst, weil sie das Kind im Unklaren darüber lässt, wie es in Zeiten der Not reagieren soll. Das beeinträchtigt die Fähigkeit des Kindes zur effektiven Bewältigung der Notsituation und kann sein Überleben insgesamt gefährden.

In menschlicher Obhut lebende Schimpansen, insbesondere von Menschen aufgezogene Waisenkinder, entwickeln häufig desorganisierte Bindungen, wahrscheinlich aufgrund des Fehlens einer festen Bezugsperson. In freier Wildbahn hingegen, wo Schimpansen in stabilen Familienstrukturen aufwachsen und dem natürlichen Überlebensdruck durch Raubtiere ausgesetzt sind, fanden die Forschenden keine Hinweise auf desorganisierte Bindungen. „In freier Wildbahn haben wir keine Hinweise auf desorganisierte Bindungsmuster gefunden, was die Annahme unterstützt, dass diese Art der Bindung möglicherweise keine adaptive Überlebensstrategie gegenüber Umwelteinflüssen ist“, sagt Erstautorin Eléonore Rolland. Dies deutet darauf hin, dass es zwar gelegentlich zu desorganisierten Bindungen bei freilebenden Schimpansen kommen kann, diese Individuen aber wahrscheinlich nicht überleben oder sich fortpflanzen.

Kindererziehung beim Menschen neu betrachtet

Die Bindungstheorie ist ein Schlüsselkonzept in der Psychologie, das erklärt, wie frühe Beziehungen die emotionale und soziale Entwicklung eines Menschen beeinflussen. Eine sichere Bindung ist mit Selbstvertrauen und Resilienz verbunden, während eine unsichere und desorganisierte Bindung zu Angst, Stress oder Beziehungsschwierigkeiten führen kann. Die Tatsache, dass Schimpansen in freier Wildbahn nur sichere oder unsicher-vermeidende Bindungen zeigen, wirft neue Fragen über die Kindererziehung beim Menschen auf. „Die Ergebnisse unserer Studie erweitern unser Wissen über die soziale Evolution bei Schimpansen und zeigen, dass Menschen und Schimpansen gar nicht so verschieden sind“, sagt Eléonore Rolland. „Sie geben uns aber auch zu denken: Haben sich einige menschliche Institutionen oder Betreuungspraktiken möglicherweise von dem entfernt, was für die Entwicklung von Kleinkindern am besten ist?“

Einblicke in die Ursprünge menschlichen Sozialverhaltens

„Durch die Identifizierung von Bindungsmustern bei freilebenden Schimpansen gewinnen wir wichtige Erkenntnisse über die Ursprünge des menschlichen Sozialverhaltens“, sagt Roman Wittig. Die Studie schlägt eine Brücke zwischen Psychologie, Tierverhalten und Anthropologie und erklärt, wie sich Bindungsstrategien über Artgrenzen hinweg entwickelt haben könnten. Catherine Crockford, leitende Autorin fügt hinzu: „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Bindungsstrategien bei Primaten ein gemeinsames evolutionäres Erbe widerspiegeln könnten. Die hohe Prävalenz desorganisierter Bindungen bei Menschen und Schimpansenwaisen in menschlicher Obhut im Gegensatz zu freilebenden Schimpansen unterstützt zudem die Annahme, dass das Umfeld während des Aufwachsens eine wichtige Rolle bei der Ausprägung von Bindungstypen spielt.“

Diese Erkenntnisse helfen uns, Schimpansen und Menschen besser zu verstehen, und regen zum Nachdenken darüber an, wie frühe Lebenserfahrungen die soziale und emotionale Entwicklung verschiedener Spezies beeinflussen können.



Originalpublikation:

Eléonore Rolland, Oscar Nodé-Langlois, Patrick J. Tkaczynski, Cédric Girard-Buttoz, Holly Rayson, Catherine Crockford, Roman M. Wittig
Evidence of organized but not disorganized attachment in wild Western chimpanzee offspring (Pan troglodytes verus)
Nature Human Behaviour, 12 May 2025, https://doi.org/10.1038/s41562-025-02176-8

Bildquelle
© Liran Samuni, Taï Chimpanzee Project, Schimpansemutter (Xela) stillt ihren Nachwuchs (Xort). Ein Forschungsteam hat erstmals verschiedene Typen von Mutter-Kind-Bindungen bei freilebenden Schimpansen identifiziert.


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