Wie fair verteilen Kinder Ressourcen?

Wie ein Sinn für Gerechtigkeit im Kindesalter entsteht

Was gerecht ist und was ungerecht, und wie sich dies als Empfindung im Kleinkindalter entwickelt, das untersuchen zwei Forschende der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, der Universität Tilburg in den Niederlanden sowie der Veterinärärztlichen Universität Wien. Das Verhaltensexperiment ist im Fachblatt Communications Psychology erschienen.

Düsseldorf. 30. September 2024. Ein altbekanntes Szenario! Der siebenjährige Lukas beschwert sich lautstark, wenn sein Freund Henry eine Eiskugel mehr bekommt als er selbst. Obwohl – oder gerade weil (?) – er sich unfair behandelt fühlt, gibt er seinem Freund Leo, der gar kein Eis hat, keinen Happen ab. Lisa dagegen teilt ihr Eis mit Leo. Dann aber, am folgenden Tag, hat Lukas Schokolade dabei, von der er bereitwillig Lisa etwas abgibt.

Mädchen sind eher bereit zu teilen und Jungen erkennen sehr genau die Ungerechtigkeiten, die gegen sie zu wirken scheinen. Im gleichen Augenblick aber, behandeln die Jungs anderen Kinder in der selben weise unfair wie sie es empfinden. Ein Stereotyp, der allerdings bei Schokolade auszusetzen scheint.
Das männliche Geschlechter eine Gerechtigkeitsarithmetik besitzen, weibliche hingegen soziale Bindungen aufbauen und pflegen ist schon länger bekannt.

Prof. Dr. Tobias Kalenscher, Lehrstuhlinhaber für Vergleichende Psychologie in Düsseldorf, Dr. Lina Oberließen, Wolfsforschungszentrum der Veterinärmedizinischen Universität Wien und Prof. Dr. Marijn van Wingerden vom Department of Cognitive Science and Artificial Intelligence der Universität Tilburg untersuchen wie sich der Sinn für Fairness und Unfairness bei Kindern entwickelt.

Anhand eines Experimentes mit etwas mehr als 300 Kindern zwischen 3 und 8 Jahren konnten tatsächlich Geschlechterspezifische Stereotype nachgewiesen werden. Interessant ist allerdings auch, das die Fairnesseinstellung nicht nur vom Geschlecht abhängig war, sondern auch vom Geschlecht der Kinder mit denen sie interagierten. Es wurde also eine Wechselwirkung festgestellt.

Van Wingerden: „Wir haben die typischen Geschlechterstereotypen gefunden – Mädchen sind mitfühlender, das Konkurrenzverhalten von Jungen ist ausgeprägter.“ Oberließen ergänzt: „Die Geschichte ist aber doch komplizierter. So wird Neid etwa bei beiden Geschlechtern eher gegen Jungen ausgedrückt als gegen Mädchen. Und Jungs sind, wenn sie ihre Ressourcen mit Mädchen teilen, wesentlich mitfühlender als mit anderen Jungen.“

Dr. Oberließen zu den Ergebnissen: „Wir fanden tatsächlich geschlechtsspezifische Effekte. Mädchen zeigten sich mitfühlender als Jungen. Interessanterweise gab es aber bei beiden Geschlechtern den gleichen Unmut, wenn ein Junge der Empfänger einer größeren Portion war. Dies deutet darauf hin, dass Neid gegenüber Jungen allgemein größer ist.“ Ebenfalls scheinen Jungen ihrem eigenen Geschlecht gegenüber gehässiger zu sein: Sie wählten immer die größtmögliche Anzahl Sticker für sich selbst, auch wenn ihr Gegenüber dann leer ausging.

Prof. Kalenscher folgert aus den Ergebnissen: „Geschlechterstereotypen sind in der heutigen Gesellschaft allgegenwärtig. Unsere Studie unterstreicht, dass geschlechtsspezifische Unterschiede im Sozialverhalten tatsächlich empirisch beobachtbar sind, selbst bei kleinen Kindern. Dies trägt möglicherweise zu kulturellen, stereotypen Geschlechterrollen im Erwachsenenalter bei. Wir sehen aber auch, dass sich geschlechtsspezifische Unterschiede, zumindest im Bereich der Fairnesspräferenzen, über einen längeren Zeitraum verfestigen. Diese Beobachtung lässt Raum, um während der kritischen Phase der Kindheit nicht-geschlechtsstereotype Fairness-Einstellungen zu fördern.“

Bezüglich dieses speziellen Experimentes lies sich nachweisen, das es zu Wechselwirkungen kommt und das gerade im Kindesalter bestimmte Stereotype bei einem Geschlecht verharren können. Allerdings ist Gerechtigkeitsarithemtik ein Grundsätzliches Verhalten das in Menschen verankert ist. Wie Prof. Kalenscher beschreibt kann sich ein Verhaltensmuster über einen längeren Zeitraum verfestigen und damit kultivieren.

Originalpublikation:

Marijn van Wingerden, Lina Oberließen & Tobias Kalenscher. Egalitarian preferences in young children depend on the genders of the interacting partners. Communications Psychology 2, 89 (2024).

DOI: 10.1038/s44271-024-00139-9

Bildquelle André Santana Design Pixabay
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