Bonn, 02.09.2024. Für die Entdeckung der Neuroplastizität gab es einmal den Nobelpreis. Es ging um die Frage wie sich neuronale Aktivität im Gehirn verändert, während gedacht wird. Der Aktivität im Wechselspiel zwischen innerer Wahrnehmung und Reizen aus der Umgebung. Bislang war unklar, wie Neuronen eine Stärkeänderung über mehrere, nahe beieinanderliegende und gleichzeitig aktive Synapsen hinweg umsetzen. Forschende aus Bonn und Japan klären wie benachbarte Synapsen ihre Reaktion auf Plastizitätssignale koordinieren. Die Ergebnisse der Studie sind jetzt im Fachmagazin „Nature Communications“ veröffentlicht.
Neuronen sind die Recheneinheiten des Gehirns. Sie empfangen Tausende von synaptischen Signalen über ihre Dendriten, wobei einzelne Synapsen einer aktivitätsabhängigen Plastizität unterliegen. Diese synaptische Plastizität ist der Mechanismus, der unserem Gedächtnis und unserem Denken zugrunde liegt und spiegelt langanhaltende Veränderungen in der synaptischen Stärke wider. Beim Erlernen neuer Erinnerungen verstärken besonders aktive Synapsen ihre Verbindungen in einem Prozess, der als „Langzeitpotenzierung“ (LTP) bekannt ist. Wie Nervenzellen jedoch die Ressourcen für die Umsetzung synaptischer Stärkeänderungen durch Raum und Zeit unter benachbarten Synapsen umsetzen, war jedoch bisher unklar. Bisher wurde angenommen, dass jede Synapse unabhängig von den anderen entscheidet, wie sie sich verändert. Nervenzellen im Gehirn empfangen Tausende von synaptischen Signalen über ihre „Antenne“, dem sogenannten dendritischen Ast. Dauerhafte Veränderungen in der synaptischen Stärke korrelieren dabei mit einer veränderten Größe dendritischer Dornfortsätze, den Spines.
Forschende gehen davon aus, dass der Wettbewerb zwischen Spines um molekulare Ressourcen und der räumliche Abstand zwischen gleichzeitig stimulierten Spines sich auf deren resultierende Dynamik auswirkt.
Eine aktuelle Studie legt eine neue Sichtweite nahe, wie benachbarte Synapsen ihre Reaktion auf Plastizitätssignale koordinieren. Forschende aus Bonn und Japan haben herausgefunden, dass die gemeinsame Nutzung von Proteinen und Calcium die synaptische Plastizität zu einer kollektiven Aktion macht, bei der das Verhalten einer Synapse beeinflusst, wie die anderen reagieren können. „Wenn mehrere Synapsen gleichzeitig potenzieren möchten und nahe beieinanderliegen, konkurrieren sie miteinander, sodass jede Synapse weniger stark potenziert, als wenn sie alleine wäre. Andererseits kann die gleichzeitige Potenzierung weniger Synapsen durch den Überlauf aktivierter Ressourcen die Plastizität anderer Synapsen erleichtern“, sagt Prof. Tatjana Tchumatchenko, vom Institut für Experimentelle Epileptologie und Kognitionsforschung am UKB und Mitglied im Transdisziplinären Forschungsbereich (TRA) „Modelling“ der Universität Bonn.
Starker Wettbewerb unter benachbarten Spines
Spines, pilzförmige Vorwölbungen von Nervenzellen, finden sich im Gehirn und können synaptische Verknüpfungen verstärken. „Die Glutamat-Freigabe ermöglicht eine präzise Manipulation ausgewählter Synapsen, was uns erlaubt hat, genau zu beobachten, wie viele Synapsen sich potenzieren und in welchem Ausmaß“, erklärt Dr. Thomas Chater (Glutamat ist ein erregender Botenstoff des Gehirns) „Diese Daten ermöglichten uns, ein Modell zu entwerfen und seine Parameter an einem Set von drei stimulierten Dornfortsätzen, also Spines, anzupassen, um dann vorherzusagen, wie sich sieben oder fünfzehn Dornfortsätze verhalten würden“, erläutert Dr. Maximilian Eggl. Chater und Eggl sind beide Co-Erstautoren dieser Studie und arbeiteten eng zusammen.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die räumliche Anordnung gleichzeitig stimulierter Synapsen die Dynamik des Wachstums oder Schrumpfens von Spines erheblich beeinflusst, was darauf hindeutet, dass mehrere auf demselben Dendriten gespeicherte Erinnerungen einander beeinflussen könnten“, erklärt Prof. Goda. Die Studienleiterinnen sind sich sicher, dass die Erkenntnis, wie Neuronen synaptische Ressourcen verwalten, zu einem besseren Verständnis kognitiver Prozesse im gesunden Gehirn beitragen und somit auch zur Entwicklung neuer Strategien zur Bekämpfung von Alzheimer, Autismus-Spektrum-Störungen und anderen kognitiven Beeinträchtigungen.
Förderung:
Dieses Projekt wurde vom Europäischen Forschungsrat (ERC) im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizont 2020 der Europäischen Union finanziert („MolDynForSyn“).
Zum Universitätsklinikum Bonn: Im UKB finden pro Jahr etwa 500.000 Behandlungen von PatientIinnen statt, es sind ca. 9.500 Mitarbeiter*innen beschäftigt und die Bilanzsumme beträgt 1,8 Mrd. Euro. Neben den 3.500 Medizin- und Zahnmedizin-Studierenden werden pro Jahr 550 Personen in zahlreichen Gesundheitsberufen ausgebildet. Das UKB steht in der Focus-Klinikliste auf Platz 1 unter den Universitätsklinika (UK) in NRW, hatte in 2023 in der Forschung über 100 Mio. Drittmittel und weist den zweithöchsten Case Mix Index (Fallschweregrad) in Deutschland auf. Das F.A.Z.-Institut hat das UKB mit Platz 1 unter den Uniklinika in der Kategorie „Deutschlands Ausbildungs-Champions 2024“ ausgezeichnet.
Originalpublikation:
Chater, T.E., Eggl, M.F., Goda, Y. and Tchumatchenko T.: Competitive processes shape multi-synapse plasticity along dendritic segments.; Nat Commun 15, 7572 (2024). DOI: 10.1038/s41467-024-51919-0
Weitere Infos
https://doi.org/10.1038/s41467-024-51919-0 Publikation
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