Auf Tuchfühlung mit dem Computer Smarte Textilien für die Kommunikation mit der virtuellen Welt

Saarbrücken, 30. Maerz 2023. Eine hauchdünne anschmiegsame Silikonfolie ist das einzige Eingabegerät wo sonst Controller oder Tastatur gewesen wären. Dass Mensch und Computer zukünftig intuitiver und auf natürlichere Art und Weise kommunizieren können, darum ist Professor Stefan Seelecke und sein Forschungsteam an der Universität des Saarlandes bemüht. Die kommunikative Rückkopplung, wie sie durch die Sensorik der Haut gegeben ist, kann hier mittels Klopfen, Vibrieren, Drücken oder gar Tonsignale erfolgen.


Wenn nur noch ein funktionales Material zwischen dem menschlichen Körper und der sinnlich wahrnehmbaren Welt steht und menschliche Kommunikation verbal als auch nonverbal so übertragen werden kann, wie der Mensch dies evolutionär gewohnt ist und gelernt hat, dann ist die Schnittstelle zwischen der virtuellen und der realen Welt erreicht.
Bei dem entwickelten Material, um das Forschungsteam Professor Seelecke, handelt es sich um ein ca. 50 Mikrometer dünnes dielektrisches Elastomere mit multifunktionalem Einsatz. Die Silikonfolie ist beidseitig mit einer hoch dehnbaren Elektrodenschicht bedruckt und funktioniert sehr sparsam mit elektrischen Feldern. Legen die Forscherinnen und Forscher eine elektrische Spannung an, drückt sich die Folie zusammen. „Sie weicht dabei zur Seite aus und vergrößert ihre Fläche. Hierbei ändern sich zugleich die Messwerte der elektrischen Kapazität“, sagt Paul Motzki. So ist die Folie sowohl Sensor als auch Aktor, eine Art Mini-Motor, erklär Stefan Seelecke. Ausgestattet mit diesen Signalgebern liefert die Folie dem Rechner Informationen als auch Informationen wie haptisch, akustisch oder optisch entgegennehmen.
Einsatzbereiche sind vorzugsweise im textilen Bereich denkbar, Gaming- oder Arbeitshandschuh, oder wie zu Zeiten der Pandemie deutlich wurde, Berührungssensibilität übertragen.
An der Schnittstelle zum Arbeitskräftemangel im Hinblick auf fehlende Fachkräfte kann, wie schon die erweiterte Realität durch VR oder AR ein solches Instrument über Textilien wie im Beispiel der Handschuh auch Vorgaben machen. Die Wissenschaftler Giacomo Morretti und Sebastian Gratz-Kelly aus Seeleckes Team haben mit der Folie einen Arbeitshandschuh ausgekleidet, der das Computersystem wissen lässt, wie der Industriemonteur Hand und Finger bewegt. In einer virtuellen Industrie 4.0-Umgebung könnte der smarte Handschuh den Werker durch Gestenerkennung bei der Wahl des Bauteils oder durch Greifkraftmessung beim Anziehen von Schrauben unterstützen. Mit Warntönen könnte er ihn vor Fehlern bei der Montage bewahren. Auch könnte der Monteur Prozesse einfach durch Bewegungen seiner Hand steuern.
Ein anderes Anwendungsbeispiel ist ein Kleidungsstück, das Kindern in Quarantänestationen die Körpernähe ihrer Eltern spürbar macht: Wie eine zweite Haut könnte etwa ein Pulli das Streicheln fühlbar übertragen, wenn Mutter oder Vater andernorts über ein zweites smartes Textil streichen, welches dieses Signal überträgt. „Wir wollen für Kinder in Quarantäne die Möglichkeit schaffen, ihren Eltern in einem virtuellen Raum zu begegnen. Unser Ziel ist, ein realitätsnahes, emotionales Eintauchen in das Erlebnis zu schaffen, das die Sinnesmodalitäten Sehen, Hören und Fühlen einbezieht“, erklärt Martina Lehser.

„Mithilfe von Algorithmen können diese Bewegungsabläufe in einer Regelungseinheit berechnet und in einem Computersystem weiterverarbeitet werden“, erläutert Doktorand Sebastian Gratz-Kelly.
„Das reicht vom hochfrequenten Vibrieren bis hin zu stufenlosen Hub- oder Klopfbewegungen oder dem Halten einer bestimmten Position. Die Frequenz und Schwingungen können wir beliebig verändern“, sagt Sebastian Gratz-Kelly. Dadurch kann sich die Folie mit der passenden Ansteuerung fühlbar etwa gegen den Finger ihres Benutzers drücken. Sie könnte mit schnellen Hub-Bewegungen aus dem Nichts heraus den Eindruck von Knopfkanten eines Schiebereglers erwecken und einen leichten Widerstand wie beim Drücken echter Schalter simulieren. Auch Töne kann die Folie erzeugen, sogar mehrere gleichzeitig, indem die Forscher sie so ansteuern, dass sich mehrere Schwingungsfrequenzen überlagern.

Seeleckes Team arbeitet in zahlreichen Forschungsprojekten und weiteren Doktorarbeiten daran, ihre Folien-Antriebe für verschiedene Anwendungen weiterzuentwickeln und auch zu vernetzen, sodass sie wie ein Schwarm untereinander kommunizieren und kooperieren können. Hierzu wollen sie die Technik weiter miniaturisieren, um Oberflächen mit neuen Fähigkeiten auszustatten.

Die Ergebnisse der anwendungsorientierten Forschung wollen die Forscher in die Industriepraxis bringen. Hierzu haben sie aus dem Lehrstuhl heraus die Firma mateligent GmbH gegründet.

Weitere Informationen:

https://imsl.de/projekte – Videos zu den Projekten des Lehrstuhls
https://imsl.de – Lehrstuhl für intelligente Materialsysteme
https://mateligent.de – Spin off mateligent GmbH
https://zema.de/ – Am Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (Zema)


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