Die wachsende Fähigkeit Ursache und Wirkung aufgrund von Schnelllebigkeit und medialer Unterstützung deutlich werden zu lassen, führt dem menschlichen Fassungsvermögen vor Augen welchen Einfluss unsere Lebensweisen auf unsere eigenen Umstände haben. Nach den erneuten Extremwetterereignissen der vergangenen Tage erfolgen erneut Kontroverse Diskussionen über Prognostik und Prävention zum Klimawandel. Der Soziologe Macel Schütz hat hierzu grundsätzliche Einschätzungen.
Hamburg, 19. September 2024. So unerwartet das Wetter oftmals erscheint ist es kaum. Auffälligkeiten werden durch meterologische Berechnungen meist schon früher deutlicher. Doch Vorbereitungen sind dennoch kaum denkbar. Was man gegen diese Form einer Machtlosigkeit unternehmen kann, diese Frage stellt sich gegenwärtig nicht nur in Europa.
„Es liegt auf der Hand, dass man ein derart akutes Wetterereignis nicht mit alltäglichem Erwartungsmanagement regeln kann“, sagt Prof. Dr. Marcel Schütz. Der Soziologe und Organisationsforscher an der Hamburger Northern Business School widmet sich dem gesellschaftlichen Umgang mit Katastrophen: „Das Wort Katastrophe aus dem Griechischen bedeutet so viel wie Wendung oder Wendepunkt. In der natürlichen Umwelt erfahren wir für unser Leben ernsthafte Wendungen als recht plötzliche, rasante, teils brachiale Umbrüche. Bei Stürmen, Sturzfluten, Waldbränden oder Erdbeben geraten Menschen von jetzt auf gleich in ausweglose Lagen, sind auf sich allein gestellt oder werden aus dem Leben gerissen.“
Prof. Schütz beschäftigt sich mit den Soziologischen Komponenten Sicherheitsvorstellung, Vorhersagemöglichkeiten als auch Vagheit und Enttäuschung. „Meteorologen wollen nicht voreilig Halbgares von sich geben und keinen Alarmismus schüren. Allerdings ist Wetter heute auch Infotainment und folgt den Spielregeln der Aufmerksamkeitsökonomie. Warnt man nicht rechtzeitig und deutlich genug und kommt es dann zu schlimmeren Schäden, gibt es schwere Vorwürfe.“
„Die Vorausschau auf eine katastrophale Witterung ist immer ein Kommunizieren vorläufiger Wahrscheinlichkeiten“, gibt Schütz zu bedenken. Die Wettermodelle der Hochleistungscomputer rechnen Szenarien mit dem Abstand einiger Tage in verschiedenen Varianten. Oft ändert sich die geografische Eingrenzung und die Intensität des absehbaren Extremwetters entsprechend der vielen Parameter. „Die Details kriegt man in der Wettervorhersage der Abendnachrichten nicht mit. Da sieht man eine Momentaufnahme.“
Das Auf und Ab in den Modellen der Extremszenarien stellt auch die MeterologInnen unter Spannung. „Das verursacht Anspannung und Fiebern: Kommt der Orkan, kriegen wir einen halben Meter Schnee, wird unser Tal überschwemmt? Bei all der Hightech müssen sich die Wetterkundigen an die Konstellation herantasten.“ Während dynamischer Extremlagen wie Großgewittern, Sturzfluten oder massiven Luftmassengrenzen lassen sich die Ausmaße mitunter erst „live“ abschätzen. „Und dann muss man sich entscheiden, ob Bergwanderung, Badesee oder die lange Autofahrt noch angemessen sind. Für den öffentlichen Schutz gilt: lieber eine Warnung mehr als eine zu wenig“, sagt Schütz. Vorfälle wie im Ahrtal vor drei Jahren bieten bedauerliche Gegenbeispiele.
Die Häufung von Extremwetter ist laut einschlägiger Forschung offenkundig mit dem Klimawandel assoziiert. Generell deuten kann man das dennoch nicht. Meist hilft der Blick in die Vergangenheit. Schütz ist der Auffassung, schaut man sich Wetterereignisse vergangener Zeiten genauer an, ist so manches mal viel identisches mit aktuellen Wetterlagen vergleichbar. Und das hilft zum einen bei der weiteren Einschätzung, andererseits macht es auch deutlich wo genau man sich in der Zeitachse befindet.
Extreme Hitzesommer wie 1540 mit monatelanger Dürre führten dazu, dass der Rhein auszutrocknen begann und Menschen Wein tranken, weil man das knappe, teurere Wasser nicht bezahlen konnte.
Ein anderes Beispiel ist der eisige Winter 1708/1709, als unzählige Menschen nichts mehr zu heizen hatten, sie Gliedmaßen, Ohren und Nasen verloren und erfroren.
Schütz hat sich für eine historische Arbeit Dokumente über die Magdalenenflut von 1342 angesehen, das vermutlich schwerste Hochwasser des letzten Jahrtausends im Binnenland Mitteleuropas. Diese Katastrophe steht in Verbindung mit einer Wetterlage – man spricht vom gefürchteten „Vb-Tief“ –, die Meteorologen jener am vergangenen Wochenende für ähnlich halten; wenngleich die damaligen Ausmaße viel drastischer waren. „Solche Extremereignisse im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit geben uns einen Eindruck, wie schlimm es um Leib und Leben in großer Zahl stand. Vieh und Mensch ertranken tausendfach. Es gab keine Warn- und Rettungssysteme, wie wir sie heute kennen. Dramatische Ernteausfälle, Hungersnöte und Pest kamen gleich hinterher. Wetterdesaster erzeugten soziale Katastrophen.“
In manchen Regionen sind die Folgen der extremen Wassermassen von 1342 bis heute sichtbar. Durch die Fluten entstanden tiefe Einkerbungen in Waldböden und regional gab es gewaltige Erosionen, wodurch die Landwirtschaft bis heute erschwert wird (siehe Abb.). Das, wie es genannt wird, „Jahrtausendhochwasser“ ereignete sich inmitten eines natürlichen Klimawandels, im Übergang von einer wärmeren Phase zur sogenannten Kleinen Eiszeit.
„Trotz dieser Kenntnisse können wir mit Wetterkatastrophen nicht wirklich gut rechnen“, sagt Schütz. Ursache und Wirkung ist gar ein Phänomen das aus der Lerntheorie bekannt ist. Aktuell besteht die wachsende Tendenz, das wir durch Aufarbeitung, Technologien und Schnelllebigen Wandel, in der Lage sind Ursache und Wirkung besser wahrzunehmend, zu verstehen, zu begreifen.
Video und Bildmaterial von Menschen in social media-Postings, die staunend und erschreckend neben den Resultaten der Wetterereignisse stehen, zeigt noch das bestehende Unverständnis.
Noch fehlt der deutlich erkennbare Zusammenhang, der durch die Domestizierung der Naturräume wie etwa die Begradigung und Beschleunigung von Flussläufen, Versiegelungen, Entwaldungen oder das Bebauen von Flächen zeigt, zwischen einem respektlos erscheinenden Eingreifen und dem Verständnis des dadurch entstehenden persönlichen Verlustes an Liebgewordenem.
„Die vollen Kräfte der Natur werden in dem Maße erfahrbar, wie man sie zu beschränken sucht. Wir lernen durch diese Unglücke auf die harte Tour, dass wir Gewässer, Böden, Wiesen und Gehölze nicht hemmungslos zerstören dürfen.“
Waren Wetter- und Klimakatastrophen in mittelalterlicher Zeit noch Ausdruck göttlichen Gerichts, sorgen sie heute eher für politischen Zündstoff. Schütz: „Wir kennen das eigentlich nicht mehr, dass die Naturgewalt einfach für sich steht. Durch den Klimawandel wird alles, was das Wetter an Extremen bereithält, als Klimakrise problematisiert. Es gibt unmittelbare Zurechnungen, wer schuld ist und zu wenig Klimaschutz betreibt: die Politik, die Wirtschaft, die Gesellschaft mit ihrem Konsum im Ganzen.“
Wer viel hat, kann auch viel verlieren, oftmals ist es das liebgewonene. Wer Natur in ausreichendem Masse respektiert kann sich an ihrer Natürlichkeit erfreuen. Wie Schütz bekräftigt gibt es auch eine andere Seite solcher Unwetterphänomene.
„Mich fasziniert der Wechsel der Jahreszeiten, die stetige Überraschung, die Schönheit und der Schrecken. Was man sich vom Wetter erhofft und was man am Ende kriegt. Wenn auch der Klimawandel uns leider mehr und mehr den Schnee raubt, den ich selbst sehr mag. Die Menschen vor Jahrtausenden sahen die Wolken und spürten die Winde genau wie wir. In einer durchmodernisierten Welt ist das Wetter die unberechenbare Konstante und bleibt ein Stück weit Geheimnis – natürlich.“
Bildquelle Lienhard Schulz, Lizenz: CC-BY-SA
Die Wolfsschlucht bei Pritzenhagen in der Märkischen Schweiz (Brandenburg). Derart tiefe Einkerbungen wie hier aus dem 14. Jahrhundert – besonders durch die berüchtigte Magdalenenflut – sind heute an verschiedenen Orten noch deutlich sichtbar.
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