Es ist so viel sozial kaputtgegangen Die Beschwörung von Gemeinschaft in der Transformation


Ein zentrales Merkmal von Krisen ist ein sich entziehendes, fehlendes stabiles Fundament. In Zeiten von Umbrüchen hat dies die Wirkung von Neuorientierungen. Neuorientierungen werden durch die vielfältigen Umstände erzwungen. In einem Impulspapier hat der SOFI-Wissenschaftler Knut Tullius ein Impulspapier erarbeitet in dem drei Thesen zum Problem der Transformation eines Gemeinschaftssinns in Unternehmen dargestellt werden. Die Thesen stützen sich auf empirische Befunde des gegenwärtigen wissenschaftlichen Projekts „Mentalitäten des Umbruchs“.

Göttingen, 30.September 2024. Transformation ist das gegenwärtige Schlagwort unserer Zeit. Arbeitsmärkte verschieben sich, Künstliche Intelligenz verschiebt Märkte, Technologie erscheint als Treiber des Zeitenwandels. In vielen Unternehmen gilt bis heute, viele Jahre ein oder zwei Arbeitgeber. Dem stehen in einer kürzeren Zeit mehrere Wechsel gegenüber. Für Erwerbstätige macht sich zunehmend die Erfahrung breit, dass ein Verlust an sozialen Bindungen in Betrieben deutlich macht. Aber auch „Spaltung“ und „Polarisierung“ in arbeits- und lebensweltlichen Kontexten wird als dramatische Entwicklung empfunden. Diese Wahrnehmung wird, verfolgt man soziologische Entwicklung und biologische Evolution, der Hinweis auf eine Zukunft der Spezialisierung hinweisen. Dabei kommt es zu Neuformationen. Menschen trennen sich und kommen mit anderen Milieus, mit anderen Menschen zusammen, in denen sich das Individuum zielstrebiger entfalten kann.

Seit 2020 untersucht das soziologische Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) während einem Projekt namens „Mentalitäten des Umbruchs“ die mentalitätsprägenden Erfahrungen, Wahrnehmungen und Deutungen von Umbruchprozessen in der Arbeits- und Lebenswelt von abhängig Beschäftigten und ihren Haushaltsmitgliedern in verschiedenen Regionen der Bundesrepublik Deutschland: in der Automobilregion Stuttgart, der Luftfahrt- und Bankenmetropolregion Frankfurt/Main, im peripherisierten Südostthüringen und in der Strukturwandelregion Rheinland/Ruhr.
„Dabei zeigt sich unter anderem, dass der Betrieb als Ort von Sozialorientierung und für Sozialintegration nach wie vor eine mentalitätsprägende Bedeutung hat“, so die erste These: „Denn Beschäftigte verstehen die Kapital-Arbeit-Beziehung nicht als ein reines Austauschverhältnis von Arbeitsleistung und finanzieller Gegenleistung, sondern auch als ein Verhältnis wechselseitigen Füreinander-Einstehens und auch Aufeinander-Angewiesen-Seins.“

Die zweite These bezieht sich auf das Erleben der ‚Vielfachtransformation‘: „Die Erfahrungen, die abhängig Beschäftigte in der gegenwärtigen ‚Vielfachtransformation‘ machen, schwächen und untergraben die sozialintegrativen Bindekräfte der sozialen Ordnung im Betrieb. Für die von uns befragten Gruppen und Beschäftigtenmilieus stellt sich ‚Transformation‘ als teils unübersichtliche Gemengelage miteinander verwobener und sich teils wechselseitig verstärkender Umbruchprozesse dar“, hebt SOFI-Forscher Knut Tullius hervor.


Diese Verhalten rufen mittels eines aufgeweckten Gefühls- und Gemütslebens (Affektivität) Beschwörungen von Gemeinschaften hervor. Diese Beschwörungen bilden die Dritte These.
Unterschiede erkennen die Forscher vor allem in Form von klassenspezifischer und konstellationsspezifischer Merkmale bei Angelernten und Facharbeitern in der südwestdeutschen Autoindustrie und am Flughafen, die als ausgeprägter gegenüber Pflegekräften wahrgenommen werden. Und sie ist unter Befragten mittlerer und unterer Erwerbsklassen generell deutlich prononcierter als unter Mitgliedern höherer Erwerbsklassen wie den technischen und kaufmännischen WissensarbeiterInnen.

Veröffentlichung:

Tullius, Knut (2024): „Es ist so viel sozial kaputtgegangen!“ Die Beschwörung von Gemeinschaft in der Transformation. SOFI-Impulspulpapier.

Kostenfreier Download des Impulspapiers:
https://sofi.uni-goettingen.de/fileadmin/user_upload/Impulspapier_Beschwoerung_von_Gemeinschaft_2024.pdf

Originalpublikation:

Tullius, Knut (2024): „Es ist so viel sozial kaputtgegangen!“ Die Beschwörung von Gemeinschaft in der Transformation. SOFI-Impulspulpapier.

Weitere Informationen
http://www.sofi.uni-goettingen

Bildquelle Gerd Altmann Pixabay


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