Bildcomposing, Copyright © MPI für biologische Intelligenz, Stefan Leitner , 2025-10-22_Ivana Tomášková Pixabay, Weibliche Kanarienvögel sing nicht, ihr Gehirn hält jedoch die Fähigkeit zum Singen lebenslang aufrecht. Die Studie zeigt, dass inaktive neuronale Schaltkreise bei Bedarf aktiviert werden können.

Es ist nie zu spät, mit dem Singen anzufangen – Oder was Neuroplastizität und Testosteron gemeinsam haben

Plastizität des Gehirns: Das Gehirn weiblicher Kanarienvögel hält die Fähigkeit zum Singen lebenslang aufrecht, obwohl die Vögel normalerweise nicht singen. Dies zeigt, dass inaktive neuronale Schaltkreise bei Bedarf aktiviert werden können.
Fortschrittliche Techniken: Mithilfe moderner Mikroskopie und räumlich aufgelösten Genexpressionsmustern fanden Forschende heraus, dass eine für den Gesang wichtige Gehirnregion („HVC“) nicht an Größe zunimmt, damit Vögel Gesang produzieren können. Stattdessen ändern unter Hormoneinfluss bestehende Neuronen ihr Verhalten: Sie werden mehr oder weniger aktiv, verstärken oder schwächen ihre Verbindungen und verändern ihre Genexpressionsmuster.

Planegg/Germany, 20. Oktober 2025. – Das menschliche Gehirn, von dem man einst annahm, dass es nach der Kindheit einen Großteil seiner Flexibilität verliert, ändert sich während des gesamten Lebens fortlaufend. Es erholt sich von Verletzungen, lernt neue Fähigkeiten und passt sich Herausforderungen an – eine bemerkenswerte Eigenschaft, die als Neuroplastizität bezeichnet wird. Singvögel zeigen eine ähnliche Neuroplastizität auf saisonaler Basis: Veränderungen im Gehirn ermöglichen es ihnen, während der Brutzeit kunstvolle Gesänge zu singen, und selbst nach Jahren mit reduziertem Gesang können sie ihr volles Stimmrepertoire wiedererlangen. Dies wirft eine grundlegende Frage auf: Wie bewahrt das Gehirn diese komplexen Fähigkeiten, selbst wenn sie nicht aktiv genutzt werden?

Eine neue Studie des Max-Planck-Instituts für biologische Intelligenz in Seewiesen befasst sich mit dieser Frage und konzentriert sich dabei auf weibliche Kanarienvögel. In der Studie untersucht wurde die Wildform der Kanarienvögel: Der Kanariengirlitz. Die Weibchen der Kanarienvögel singen normalerweise nicht, verfügen aber dennoch über die vollständige neuronale Ausstattung für den Gesang. So wie Menschen spezielle Gehirnregionen für die Sprache haben, haben Singvögel spezielle Regionen für den Gesang entwickelt. Die Gesangsfähigkeit von Kanarienvögeln ist teils angeboren, teils durch Übung erlernt. Dafür verantwortlich ist das Hormon Testosteron, das auch schon zur Urzeiten das männliche Geschlecht und in dessen Folge den männlichen Anteil des Gehirns entwickelte (Vgl. et al Beck, 2018). Gewisse Strukturen im Gehirn sind tatsächlich vererbt, was man am Abbild eines Homonukulus gut nachvollziehen kann. Wenn jemand ein Handwerk erlernt und damit verbunden die immer gleichen Bewegungsabläufe vollzieht, prägt sich dieser Anteil im Gehirn verstärkt ein. In dieser weise wird diese Ausprägung zum Teil auch genetisch vererbt. Die Besonderheit ist damit die potenzielle Veranlagung, das ein Gehirn das wird oder werden kann, was ihm vorgegeben scheint.

Strukturabbild des Gehirns
Quelle: doccheck_com/Schema modifiziert nach dem Homunkulus des kanadischen Neurochirurgen Wilder Penfield

Das Testosteron steigt im Blutspiegel bei Männchen während der Brutzeit stark an. Durch die Gabe von Testosteron an Weibchen konnte das Team über mehrere Wochen beobachten, wie ihre schlummernde Gesangsfähigkeit aktiviert wurde und sie ihre neu entdeckten Stimmen verfeinerten.

Mit traditionellen Bildgebungsverfahren hatten WissenschaftlerInnen zuvor beobachtet, dass der HVC – eine für den Gesang wichtige Hirnregion – in den Bildern singender Kanarienvögel viel größer erscheint als bei nicht-singenden, zum Beispiel während der Brutzeit. Durch die Nachverfolgung einzelner Gehirnzellen im HVC durch eine Kombination aus moderner Mikroskopie und Genexpressionsstudien, ergab sich jedoch ein anderes Bild. Die Neuronen bewegten sich nicht auseinander oder vermehrten sich, wie es bei Wachstum erwartet worden wäre – stattdessen wurden sie aktiver, stärkten Verbindungen, steigerten ihre Aktivität, veränderten die Genexpression und waren leichter zu erkennen, was das illusorische Wachstum in den anatomischen Bildern erklärt.

Die Genexpressionen zeigen, dass Testosteron diese Veränderungen im gesamten HVC orchestriert, ohne dessen Größe zu verändern“, sagt Shouwen Ma, Wissenschaftler in der Abteilung Verhaltensneurobiologie am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz. „Entscheidend ist, dass der HVC seine Größe und neuronale Architektur auch dann beibehält, wenn er nicht genutzt wird. So können Vögel auch nach Jahren ohne Gesang ihre komplexen Gesangsfähigkeiten wiedererlangen. Unsere Ergebnisse veranschaulichen, dass das Gehirn Strukturen nicht von Grund auf neu aufbauen muss. Die neuronalen Mechanismen bleiben bereit und warten nur darauf, aktiviert zu werden – das ist auch, was mich an dieser Entdeckung so begeistert.“

Bei Menschen entstehen aus der optischen Wahrnehmung von Farben, Formen und Konturen eines Körpers, eines Gegenstandes ein Vorläufiges Bild. Mit jeder feineren Entwicklung und verbunden mit Assoziationsarealen entsteht damit ein realeas Abbild der als real wahrgenommenen Welt, aber vor allem auch eine nicht unbedingt sichtbare Realität. Erst mit einer gewissen Reifung des Gehirns entsteht daraus ein wahrnehmbares und beschreibbares Abbild. Eine Grundlage für ein Bewusstsein des Menschen (Vgl. et al Beck, 2018). Deutlich wird dies erst durch den Unbewussten Anteil des Gehirns. Dieser Anteil ist im Nervensystem zu finden. Das somatische steuert die willkürlichen Vorgänge wie Skelettmuskulatur, Reizwahrnehmung oder Sinnesorgane. Das unwillkürliche (autonome, vegetative) System steuert den Ablauf der inneren Organe wie Magen, Darm oder Atmung. Wiederholungen und Synchronisationen überführen Handlungen ins Bewusstsein.

Die Fähigkeit zum Singen erwies sich als bemerkenswert beständig – die Forschenden konnten sogar siebenjährige Weibchen zum Singen bringen, was weit über ihre typische Lebensdauer in freier Wildbahn hinaus geht.

„Dieses Projekt war für die Abteilung eine bedeutende und kumulative Anstrengung. Wir haben genomische Werkzeuge verfeinert, um die molekularen Grundlagen des Gesangsverhaltens von Kanarienvögeln mit hoher Auflösung zu untersuchen. Dies reicht von der Genomsequenzierung bis hin zu ausgefeilten bioinformatischen Methoden, welche die Genexpression visualisieren, um die Architektur des Gehirns aufzudecken. Diese Diversifizierung des Wissens legt die Grundlage für neue Forschungsbereiche, wie beispielsweise dem Verständnis, wie Arten mit unterschiedlichen Hormonsystemen umgehen“, sagt Carolina Frankl-Vilches, Forscherin in der Abteilung für Verhaltensneurobiologie.

„Indem wir untersuchen, wie sich das Verhalten einzelner Zellen ändert, decken wir grundlegende Prinzipien der Plastizität des Gehirns auf. So erfahren wir, wie das Gehirn seine Fähigkeit zu innovativen Veränderungen während des gesamten Lebens beibehält,“ sagt Manfred Gahr, Direktor der Abteilung. „Das Verständnis dieser Mechanismen – also wie Hormone Veränderungen in Gehirnzellen auslösen, wie neuronale Schaltkreise ihre Struktur und Flexibilität bewahren – könnte Aufschluss über die allgemeineren Prinzipien der Plastizität des Gehirns geben. Damit könnten auch weitergehende Fragen beantwortet werden, zum Beispiel, wie alternde Gehirne ihre Anpassungsfähigkeit erhalten oder welche Mechanismen die Genesung nach einem Schlaganfall oder einer Verletzung fördern.“

Originalpublikation:

Shouwen Ma, Carolina Frankl-Vilches, Manfred Gahr (2025): Invariant HVC size in female canaries singing under testosterone: Unlocking function through neural differentiation, not growth. 20.10.2025, PNAS

Beck, Henning; Faszinierendes Gehirn, 2018

Weitere Informationen:

https://www.bi.mpg.de/gahr – Webseite der Abteilung von Prof. Gahr am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz


Homunuculus, 22. Oktober 2025
https://www.doccheck.com/de/detail/photos/10539-homunculus-sensorischer-und-motorischer-cortex-schema

Bildquelle

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Bildcomposing, Copyright © MPI für biologische Intelligenz, Stefan Leitner , Ivana Tomášková Pixabay, Weibliche Kanarienvögel sing nicht, ihr Gehirn hält jedoch die Fähigkeit zum Singen lebenslang aufrecht. Die Studie zeigt, dass inaktive neuronale Schaltkreise bei Bedarf aktiviert werden können.


doccheck_com/Schema modifiziert nach dem Homunkulus des kanadischen Neurochirurgen Wilder Penfield


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