Neue Studie des Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön und dem Biomedical Pioneering Innovation Center der Peking University in Beijing, China zeigt: Unsere Organe bilden ein Mosaik geschlechtsspezifischer Merkmale – fernab der strikten Einteilung in „männlich“ und „weiblich“.
Plön/Germany, 19. September 2025. – Das ein Geschlecht im Körper viel komplexer sein soll als man sich hätte denken können wird dann deutlich, wenn man die Entwicklung des Menschen auf die Entstehung durch sein Geschlecht reduziert. Sigmund Freud hatte um die Jahrhundertwende die These aufgestellt, das sich alle Triebe des Menschen auf zwei wesentliche Triebe zurückführen ließen. Demnach entstehen aus dem Geschlecht die Eigenschaften des Menschen. Den Lebenstrieb, die Libido als auch den Todestrieb, Destrudo. Der Grossteil seiner Zeitgenossen war nicht dieser Auffassung. Woraufhin Freud in seinen Büchern zu bemerken gab, wie man Krankheiten erkennen wolle, wenn ein Arzt eine kranke Frau zu untersuchen habe, bei der dieser nur den Arm durch ein Loch in den Mauern zeigen dürfe, so ein Beispiel seiner deutlichen Anspielungen aus „Sexualleben“. „Wo es sich träfe, würde es als unverständige Prüderie, als Scham am unrechten Orte verdammt werden“ so Freud weiter.
Später gelang es Wilhelm Reich mit der Entdeckung des Oregon einen Grossteil gesundheitlicher Leiden auf den Ursprung der Sexualität zurückzuführen, insbesondere waren er und Freud sich darin einig, das mitunter Neurosen als auch andere Krankheiten wie Karzinome auf Sexualstauung zurückzuführen wären. Ein sehr umstrittenes Thema, das vor allem der christlichen Morallehre gegenüber steht und daher noch auf breite Ablehnung stößt, während die Leiden in der Gesellschaft wachsend sind. Das eine, die biologische Evolution, das andere die Kultivierung des Menschen. Ein Spannungsverhältnis bei dem auf beiden Seiten das richtige Mass zu finden sei. Bekannter massen eine Notwendigkeit, weil aus solchen Konflikten Antriebe entstehen.
So schreibt Sigmund Freud weiter, „Durch eingehende Untersuchungen bin ich in den letzten Jahren zur Erkenntnis gelangt, dass Momente aus dem Sexualleben die nächsten und praktisch bedeutsamsten Ursachen eines jeden Falles von neurotischer Erkrankung darstellen.“ Es würde also gelten, will man sich potenzieller Erkrankung entziehen, ist man genötigt die eigene Moral zu hinterfragen. Und damit gilt auch, „Wer in Resonanz geht verändert sich“, wie Joachim Bauer schreibt, und meint damit die Notwendigkeit der Anpassungsleistung mit und durch die Gesellschaft um mit den Veränderungen des Zeitgeistes mitzuwachsen, was ein dauerhaftes Hinterfragen eigens auferlegter Gesetzmässigkeiten mit sich bringt.
Erich Fromm (2019, 1976) beschreibt in Haben oder Sein, das die Unterdrückung des Willens bei der Sexualität ein Problem mit sich bringt, weil es mit einem natürlichen Streben zu tun hat, und den Willen des Menschen nach Überleben übersteigt. Aus diesem Grund ist die Sexualität mehr umkämpft als jedes andere Verlangen. Angefangen von moralischer Verteufelung, bis hin zu Masturbation sei schädlich. Das Brechen des menschlichen Willens sei der Grund, so Fromm, weshalb die Sexualität so verteufelt würde und, dem sei Hinzuzufügen, damit letztlich ein grosses Potenzial für Krankheiten bietet.
Es gilt jedenfalls das der Inhalt der Partialtriebe, die reinen Geschlechtstriebe, der Fortpflanzung dienen, während der Anteil der über diese Triebe hinausgehen in Bindungskräfte der Gesellschaft übergehen, was in etwa bei der Partnersuche zum Tragen kommt, bedauerlicherweise aber auch bis hin zum Brechen des Willens.
Das Spannungsverhältnis zwischen sexueller Entladung, und sexueller Anstauung geht in die menschliche Produktivität über und bildet auf diese Weise die Eigenschaften des Menschen heraus. Es benötigt eine Lust auf das Leben um produktiv zu sein. Es braucht Motive biologischer wie psychischer Natur. In diesem Zusammenhang entsteht auch die Produktivität des Denkens, sowohl des männlichen wie des weiblichen Anteils. Daher rührt auch hier das Wechselspiel zwischen männlichem und weiblichen Denkanteilen, was Freud durch die Beschreibung des Ödipuskomplexes hervorheben konnte. Es kommt in Phasen, Episoden zu Wechselwirkungen und daher zur Organentwicklung was auch die Gehirnentwicklung betrifft. Der Gesellschaftliche Anteil hat seine Verknüpfung im Selbst des Menschen, das einem Zwei-Perspektiven-Selbst entspricht. Innere Bilder vom du und ich die in einem gemeinsamen neuronalen Netzwerk abgespeichert werden, schreibt Joachim Bauer (2021).
Diesen unmittelbaren Einfluss, die Folge der Produktivität auf die Entwicklung des Geistes, vielmehr Zusammenhang hatte Wilhelm Reich bereits um die Zeit des 2. Weltkrieges ermittelt. Sexualstauungen unterbinden, bzw. hemmen damit die geistige Entwicklung, während ein hyperaktives Sexualleben dem entgegenwirkt. Nach Wilhelm Reich hängt die Entwicklung der Potenz von der Intensität der sich liebenden Partner ab, bei manchen weniger, bei anderen mehr. Diese Potenz entscheidet damit auch über das weitere Sexualverhalten während der Lebenszeit.
Aus dieser Architektur geht hervor, dass sich eine biologische Ausdifferenzierung aus den Geschlechtern entwickelt, die sich letztlich auf die Entwicklung der Organe, als auch auf die Entwicklung des Geistes auswirkt.
Es entsteht ein dauerhaftes Kontinuum zwischen den Geschlechtern, das sich auf Basis der Evolution zunehmend weiter ausdifferenziert. Eine Verteilung weiblicher bis männlicher Anteile mit ihren Zwischenstufen.
Ein biologisches Geschlecht wird meist in einfachen binären Begriffen beschrieben: männlich oder weiblich. Diese Sichtweise passt gut, wenn es um Keimzellen (Spermien versus Eizellen) geht – für die übrigen Körperorgane ist sie jedoch wenig hilfreich.
Eine jetzt in eLife veröffentlichte Studie zeigt: In vielen Organen überlappen die geschlechtsspezifischen Muster stark. Nur Hoden und Eierstöcke sind klar unterscheidbar. In allen anderen Organen finden sich mosaikartige Kombinationen von weiblichen und männlichen Eigenschaften.
Besonders deutlich treten geschlechtsspezifische Gene in den Sexualorganen hervor. Doch in den übrigen Organen ist das Bild komplexer. Bei Mäusen zeigen vor allem Niere und Leber große Unterschiede, beim Menschen das Fettgewebe. Das Gehirn dagegen weist bei beiden Arten nur minimale Unterschiede auf – was sich auch mit früheren Untersuchungen zur Hirnstruktur beim Menschen deckt.
Um diese Vielfalt messbar zu machen, entwickelten die Forschenden einen Sex-Bias-Index (SBI). Dieser fasst die Aktivität aller männlich- und weiblich-spezifischen Gene in einem Organ zu einem einzigen Wert zusammen. Während der Index in den Sexualorganen eine klare Trennung zeigt, liegen die Werte anderer Organe oft so dicht beieinander, dass Männer und Frauen nicht eindeutig zu unterscheiden sind. So kann das Herz eines Mannes stärker „weiblich“ geprägt sein als das mancher Frauen. Und sogar innerhalb eines Individuums können sich Organe unterschiedlich ausprägen – das Herz eher weiblich, die Leber eher männlich. Es entsteht ein mosaikartiges Muster von Geschlechtsmerkmalen, das dem Bild einer klaren Trennung widerspricht.
Evolutionäre Dynamik: Warum Unterschiede so schnell wechseln
Die Studie zeigt außerdem, dass geschlechtsspezifische Genaktivität in Körperorganen sehr schnell evolviert – viel schneller als Gene, die bei beiden Geschlechtern gleich aktiv sind. Schon zwischen Mausarten, die sich erst seit weniger als zwei Millionen Jahren getrennt haben, hat der Großteil der Gene seine geschlechtsspezifische Rolle verloren oder sogar gewechselt.
Im Vergleich zwischen Mensch und Maus finden sich deshalb nur sehr wenige Gene mit dauerhaft konservierter geschlechtsspezifischer Aktivität. Das bedeutet auch: Mausmodelle sind nur sehr eingeschränkt geeignet, um als Modelle für geschlechtsspezifische Medizin beim Menschen verwendet zu werden.
Die Forschenden fanden zudem, dass geschlechtsspezifische Gene häufig in „Modulen“ vorkommen, die gemeinsam reguliert werden. Evolution verändert Geschlechtsunterschiede also oft nicht an einzelnen Genen, sondern indem ganze Netzwerke neu angeordnet werden. Der treibende Faktor dafür ist die sexuelle Selektion – also der ständige evolutionäre Konflikt zwischen den Interessen von Männchen und Weibchen. Dieser Konflikt kann nie vollständig aufgelöst werden, da jede Anpassung wiederum neue Gegensätze schafft.
Überträgt man die Methode auf menschliche Gewebe, zeigt sich ein klares Muster: Deutlich weniger geschlechtsspezifische Gene als bei Mäusen und noch stärkere Überlappungen zwischen Männern und Frauen. In unserer Spezies sind die Unterschiede also schwächer ausgeprägt, was die Vorstellung einer strikten binären Einteilung zusätzlich in Frage stellt.
Fazit: Geschlecht als Spektrum, nicht als Schublade
Die Studie kommt zu dem Schluss: Während die Sexualorgane ein klares binäres Muster zeigen, weisen die meisten anderen Gewebe ein Kontinuum geschlechtsspezifischer Genaktivität auf – ein dynamisches Spektrum, das sich zwischen Arten wie auch zwischen Individuen unterscheidet.
Geschlecht ist also nicht starr und eindeutig, sondern geprägt durch Evolution, Überschneidungen und individuelle Unterschiede. Statt den Körper anhand molekularer Merkmale streng als männlich oder weiblich einzuordnen, sollte er als ein komplexes Mosaik verstanden werden.
Originalpublikation:
Chen Xie, Sven Künzel, Diethard Tautz (2025) Fast evolutionary turnover and overlapping variances of sex-biased gene expression patterns defy a simple binary sex classification of somatic tissues eLife 13:RP99602
https://doi.org/10.7554/eLife.99602.4
Weitere Infos
Gegendert wie im Kopf – Geschlechtsunterschiede im Gehirn, 15. Juli 2025 http://de.gate-communications.com/gegendert-wie-im-kopf-geschlechtsunterschiede-im-gehirn/
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Bildquelle
André Santana Design Pixabay



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