Wissenschaft blickt auf das innere Gehirn im Weltall

Das Bewusstsein neu denken – Wie das Gehirn die innere Welt erschafft


Was ist Bewusstsein? Seit Jahrhunderten versuchen WissenschaftlerInnen und PhilosophenInnen zu verstehen, wie das Gehirn unsere innere Welt erschafft – wie neuronale Aktivität beispielsweise in Kaffeegeschmack oder Schmerz umgewandelt wird. Nun hat ein internationales, theorieübergreifendes Forschungskonsortium unter Leitung des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik (MPIEA) in Frankfurt am Main zwei der derzeit prominentesten Bewusstseinstheorien auf den Prüfstand gestellt. Die im Fachmagazin Nature veröffentlichten Ergebnisse stellen Kernannahmen beider Modelle in Frage und bieten gleichzeitig einen neuen Ansatz zur Untersuchung komplexer wissenschaftlicher Fragestellungen.

Frankfurt a. M. /Germany, 30. April 2025. Über das Bewusstsein des Menschen gibt es einige Theorien. Eine davon ist die nach dem freien Willen. Kann und darf ich als Mensch selbst entwerfen und gestalten, oder ist alles in irgendeiner Form bereits vorgegeben? Die Natur und die Dinge in der Welt folgen scheinbar immer den gleichen Regel, wenn man über grosse Zeitbögen schaut. In der aktuellen Vergegenwärtigung erscheinen die Dinge wie Zufälle zu begreifen zu sein. Der renommierte Gehirnforscher Manfred Spitzer formulierte einmal, das wir intern so stark vernetzt seien das wir ständig mit uns selbst beschäftigt seien. Es ist daher aus biologischer Sicht unabdingbar sich dem Überleben willens um das äussere zu bemühen. Erich Fromm, ebenfalls einer der bedeutensten Wissenschaftler des 20. Jhd. sah in der Auseinandersetzung mit der Persönlichkeitsentfaltung einen dauerhaften, ein Leben andauernden Prozess von der Selbstverliebtheit des Menschen, dem Narzissmus hin zur seinem Objektiven Prozess. Sind wir als Mensch in der Form gestaltet das wir uns durch Orientierung hindurch und innerhalb unserer Bewustsseinsgrenzen selbst entscheiden dürfen? Als Mensch muss ich mich, raus aus dem affektiven Denken dauerhaft darin üben und trainieren objektive Sichtweisen einzunehmen. Der Philosoph Hegel geht in eine ebensolche Richtung in dem er beschrieb, es bleibt ein Leben lang die Aufgabe des Menschen auf Dauer seine Minderwertigkeit zu überwinden, worin dieser eine klare Situation der zentralsten Fragen der Religion sah – Vergebung und Wiederauferstehung. Die Frage nach dem freien Willen, bewusst selbst entscheiden zu dürfen oder nicht schließt sich dem zwangsläufig an. Ist es eine Frage von Kausalität, einer vielleicht Wechselwirkung zwischen Chaos und Ordnung? Im Hinblick auf die bevorstehende und zu erwartende radikale Technologische Entwicklung durch Künstliche Intelligenz nehmen Menschen eine andere Perspektive ein. Sie werden selbst zu gottähnlichen Kreaturen die mittels Algorithmen die Umstände und Belange von Menschen innerhalb von Regularien beeinflussen. Wie viel ist dabei der eigenen Entscheidung geschuldet, wie viel muss ich mich einem System unterordnen, Anpassen oder kann mich frei entfalten? Ist es letztlich ein Akt der Säkularisierung? Dem Glauben nach zu urteilen sind und bleiben wir auch im hohen Alter Kinder Gottes, was dann in der umfassenden Frage mündet, Demut oder Hochmut?

Ein Internationales Konsortium stellt erstmals zwei führende Bewusstseinstheorien direkt einander gegenüber:
Durchgeführt wurde die Studie vom Cogitate-Konsortium das sich zum Ziel gesetzt hat, die Global Neuronal Workspace Theory (GNWT) und die Integrated Information Theory (IIT) umfassend miteinander zu vergleichen. Beide Modelle versuchen zu erklären, wie aus neuronaler Aktivität bewusste Erfahrungen entstehen, kommen aber zu völlig unterschiedlichen Antworten: Die GNWT geht davon aus, dass Bewusstsein durch großflächige Übertragungen von Informationen im Gehirn entsteht. Der Schwerpunkt liegt dieser Theorie zufolge in den präfrontalen und parietalen Regionen. Die IIT hingegen verortet das Bewusstsein im posterioren Kortex, wo Informationen zu zusammenhängenden Erfahrungen verbunden werden.

Anstatt isoliert zu arbeiten, schlossen sich führende TheoretikerInnen mit einem internationalen Forschungsteam zusammen. Sie konzipierten eine Studie, die einen objektiven, widerlegbaren Test ihrer Vorhersagen liefern sollte. Diese kontroverse Zusammenarbeit – ein Ansatz, der erstmals vom Nobelpreisträger Daniel Kahneman vertreten wurde – ist eine radikale Abkehr vom Status quo in den Neurowissenschaften, in denen Bestätigungsfehler und methodologisches Silodenken lange Zeit den Fortschritt behindert haben.

Alle Hypothesen, Analysen und Interpretationen wurden vorab registriert. Unabhängige Forschungsteams führten die Studie mit insgesamt 256 TeilnehmerInnen in sieben Laboren weltweit durch. Dabei nutzten sie drei sich ergänzende bildgebende Verfahren: funktionelle Kernspintomographie (fMRI), Magnetenzephalographie (MEG) und intrakranielles EEG (iEEG). Alle beteiligten WissenschaftlerInnen hatten sich im Vorfeld darauf geeinigt, die Ergebnisse unabhängig von deren Ausgang zu akzeptieren.

„Die Stärke dieses Ansatzes liegt darin, dass wir unsere Theorien gemeinsam testen“, sagt Lucia Melloni, vom MPIEA. „Dabei geht es nicht darum, einen Sieger zu küren, sondern darum, die Messlatte für die Überprüfung wissenschaftlicher Ideen höher zu legen.“

Die Ergebnisse stellen beide Theorien in Frage. Die Kernannahme der IIT, wonach die bewusste Wahrnehmung von einer anhaltenden Synchronisation in den hinteren Hirnregionen abhängt, wurde durch die Daten nicht bestätigt. Im Falle der GNWT traten zwar einige bewusste Informationen im präfrontalen Kortex auf, aber wesentliche Merkmale fehlten. Auch das vorhergesagte „Zündmuster“ zu Beginn der bewussten Erfahrung konnte nicht nachgewiesen werden.

„Die Ergebnisse erinnern uns eindringlich daran, dass selbst unsere etabliertesten Überzeugungen einer strengen Überprüfung bedürfen. Wenn wir das Bewusstsein wirklich verstehen wollen, dürfen wir uns nur von den Daten leiten lassen“, führt Melloni weiter aus.

Aufbauend auf der bisherigen Arbeit ist das Cogitate-Team bereits dabei, ein zweites großangelegtes Experiment zur weiteren Untersuchung der GNWT und IIT fertig zu stellen. Als weiteres Bekenntnis zur Transparenz stellt das Team seinen Datensatz ForscherInnen weltweit kostenlos zur Verfügung.

„Es gibt mehr als zwanzig Theorien über das Bewusstsein. Wir haben zwei davon getestet“, schließt Alex Lepauvre, Co-Autor vom MPIEA. „Jetzt laden wir andere dazu ein, diesen umfangreichen Datensatz zu nutzen und dazu beizutragen, das Forschungsgebiet weiter voranzubringen.“

Der Artikel wurde von 41 ForscherInnen, darunter neun Co-Erstautor:innen, gemeinsam verfasst. Eine vollständige Liste der AutorInnen und Beiträge findet sich auf der Website des Konsortiums:

(https://www.arc-cogitate.com)



Originalpublikation:

Cogitate Consortium, Ferrante, O., Gorska-Klimowska, U., Henin, S., Hirschhorn, R., Khalaf, A., Lepauvre, A., Liu, L., Richter, D., Vidal, Y., Bonacchi, N., Brown, T., Sripad, P., Armendariz, M., Bendtz, K., Ghafari, T., Hetenyi, D., Jeschke, J., Kozma, C., Mazumder, D. R., Montenegro, S., Seedat, A., Sharafeldin, A., Yang, S., Baillet, S., Chalmers, D. J., Cichy, R. M., Fallon, F., Panagiotaropoulos, T. I., Blumenfeld, H., de Lange, F. P., Devore, S., Jensen, O., Kreiman, G., Luo, H., Boly, M., Dehaene, S., Koch, C., Tononi, G., Pitts, M., Mudrik, L., & Melloni, L. (2025). Adversarial Testing of Global Neuronal Workspace and Integrated Information Theories of Consciousness. Nature. https://www.nature.com/articles/s41586-025-08888-1



Weitere Informationen:

(https://www.arc-cogitate.com)

Bildquelle
Digitale Illustration von Ana Perez Hernández (im Auftrag von Lucia Melloni)


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