Spätestens seit Sigmund Freud und Wilhelm Reich ist klar, das Geschlecht bestimmt Entwicklung und Aussehen ihrer Eigenschafts- und Informationsträger und Individuen. Ein Wirkungsweg des „Männerhormons“ Testosteron erfolgt über die Bindung an den Androgenrezeptor. ForscherInnen an der Technischen Universität München (TUM) und des Max-Planck-Instituts für biologische Intelligenz ist es erstmals gelungen, Hühner ohne Androgenrezeptor zu züchten. So konnten sie untersuchen, wie sich speziell der Androgen-Signalweg auf die Entwicklung und das Aussehen auswirkt: Tiere beiderlei Geschlechts sind unfruchtbar. Zudem sind einige – aber nicht alle – äußerlichen Geschlechtsmerkmale unzureichend ausgeprägt. Dies veranschaulicht, wie wichtig Testosteron ist, und zwar für beide Geschlechter. Es zeigt aber auch: der Androgen-Signalweg alleine macht noch keinen Hahn.
Planegg-Martinsried, 22. Oktober 2024. Mit der Frage weshalb ein Hahn kräht und ein Huhn nicht war Mitte des 19. Jhd. Arnold Adolph Berthold so sehr beschäftigt das dieser den Hahn kastrierte. In der Tat, das Krähen hatte damit sein Ende gefunden. Damals wusste Berthold noch nicht, welche Substanz in den Hoden des Hahns eine Rolle spielt – mittlerweile wissen wir, dass es das Sexualhormon Testosteron ist.
Die Verstoffwechselung beider Hormone macht auch für Laien deutlich, das nur männlich oder nur weiblich aus biologischer Sicht relativ unmöglich erscheint. Tatsächlich wird demgegenüber ein Kontinuum zwischen beiden Geschlechtern wesentlich wahrscheinlicher und entspricht ebenfalls einer Beschreibung von Sigmund Freud in seinem Werk „Sexualität“ vor gut 100 Jahren. Testosteron wird klassisch als Männerhormon bezeichnet, obwohl es auch beim weiblichen Geschlecht vorkommt und dort wichtige Funktionen erfüllt. Es ist maßgeblich an der Geschlechtsentwicklung, dem Aussehen und dem Aggressionsverhalten des männlichen Geschlechts beteiligt. Um seine Wirkung zu entfalten, bindet es an den sogenannten Androgenrezeptor. Dieser wird daraufhin aktiviert und setzt in der Zelle die Produktion bestimmter Proteine in Gang. Testosteron kann aber auch zu Östrogen – dem „Frauenhormon“ – verstoffwechselt werden, welches an einen anderen Rezeptor bindet. Das macht die Sache kompliziert: Wenn wir über Testosteron und seine Wirkung sprechen, welche Rolle spielt dann der Androgen-Signalweg?
Ein wissenschaftliches Team um Benjamin Schusser (TUM) und Manfred Gahr (MPI für biologische Intelligenz) untersuchte diese Frage in Vögeln nun genauer. In einem komplexen Unterfangen entwickelten die Forschenden mit der CRISPR-Cas-Methode genetisch veränderte Hühner, welchen der Androgenrezeptor fehlt. So konnten die Forschenden erstmals untersuchen, welche Auswirkungen der Androgen-Signalweg auf die Entwicklung, das Aussehen und das Verhalten von Hühnern hat. Diese Vogelart eignete sich für die Studie besonders gut: Hühner sind intelligente und soziale Tiere, die geschlechtsspezifische Verhaltensweisen wie das morgendliche Krähen der Hähne aufweisen.
Bei der Untersuchung der Junghähne stellte sich erwartungsgemäß heraus, dass sie unfruchtbar waren. Zudem waren einige der typischen äußeren Geschlechtsmerkmale nicht ausgeprägt: Dazu zählten unter anderem der Kamm sowie die Kehllappen und Ohrläppchen. Interessanterweise blieben andere Merkmale von der genetischen Veränderung unberührt: Die Schwanzfedern und der Sporn waren vergleichbar zu normalen Hähnen. „Wir waren überrascht, dass die männlichen Merkmale nur zum Teil verloren gingen. Das äußere Erscheinungsbild der Hähne wird demnach nicht ausschließlich durch den Androgen-Signalweg bestimmt“, erklärt Mekhla Rudra, eine der beiden Erstautorinnen der Studie.
Interessanterweise sah es bei jungen, weiblichen Hühnern ohne Androgenrezeptor ganz ähnlich aus: Auch sie waren unfruchtbar und die typischen Hautlappen am Kopf waren viel kleiner als normal. Dies führte dazu, dass zu dem untersuchten Zeitpunkt Hähne und Hühner äußerlich kaum zu unterscheiden waren – ganz anders als bei Hühnern mit Androgenrezeptor. Überraschenderweise produzierten die erwachsenen Weibchen zwar weiterhin Testosteron, aber ohne die Androgenrezeptoren legten sie weder Eier noch hatten sie einen Eisprung. Dies zeigt, dass Eibildung und Eiablage androgenabhängig sind.
Die Ergebnisse veranschaulichen, dass Testosteron in beiden Geschlechtern wichtige Aufgaben übernimmt. Es daher als reines „Männerhormon“ zu bezeichnen, ist zu simpel. Die Wirkweise des Hormons ist komplex und auch noch nicht gänzlich verstanden. Darüber hinaus gibt die Studie generelle Einblicke in die Geschlechtsentwicklung von Vögeln: Ein ausgeklügeltes Zusammenspiel hormonabhängiger und hormonunabhängiger Mechanismen scheint dafür verantwortlich zu sein.
Originalpublikation:
Kamila Lengyel#, Mekhla Rudra#, Tom V.L. Berghof, Albertine Leitão, Carolina Frankl-Vilches, Falk Dittrich, Denise Duda, Romina Klinger, Sabrina Schleibinger, Hicham Sid, Lisa Trost, Hanna Vikkula, Benjamin Schusser*, Manfred Gahr*
# authors contributed equally
* these authors jointly supervised this work
Unveiling the critical role of androgen signaling in avian sexual development.
Nature Communications, online October 17, 2024
(https://doi.org/10.1038/s41467-024-52989-w)
Weitere Informationen:
(https://www.bi.mpg.de/gahr/de) – Webseite Manfred Gahrs Abteilung
Bildquelle: © MPI für biologische Intelligenz / Julia Kuhl
Im Bild: ForscherInnen ist es gelungen, Hühner ohne Androgenrezeptor zu züchten. Hähnen ohne Rezeptor (links) fehlen zum Beispiel typische äußere Geschlechtsmerkmale im Vergleich zu Hähnen mit Rezeptor (rechts).
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