Was bedeutet „körperlich aktiv“ im höheren Lebensalter – und für wen genau? Mit dieser interessanten Fragestellung beschäftigt sich Professor Ansgar Thiel, Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln, in seinem Keynote-Vortrag beim diesjährigen Geriatrie-Kongress in Weimar, zu dem rund 700 Teilnehmende erwartet werden. Thiel, einer der führenden deutschen Sportwissenschaftler, plädiert in seinem Vortrag für ein grundlegendes Umdenken in der Gesundheitsförderung älterer Menschen.
Berlin/Germany, 22. Juli 2025. – Hochbetagte, gereifte Menschen sind heute im wahrsten Sinne des Wortes in denselben Jahrgängen gereifter als noch vor wenigen Jahren und Jahrzehnten. Menschen altern langsamer, entschleunigter, was grössteils in engem Zusammenhang mit der Wohlstandsentwicklung steht. Die Rentensystematik ändert sich. Viele haben erkannt das ein Leben in Rente nicht das Ende des Daseins bedeutet und die Diskussion um das gebraucht werden, auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels flammt allmählich wieder auf. Nicht zuletzt verdeutlicht dies auch die Kleidung. Früher hatten die Best Ager-Jahrgänge zeitlose Farben wie Beige, Grau, Dunkel oder Braun. Die heutige Buntheit spricht für die Lust am Leben. Auch der Fahrradboom per Batterie sorgt dafür das inzwischen Menschen aufs Rad steigen und damit wieder in Bewegung kommen, die das vorher nicht mehr taten, was eine echte Bereicherung ist.
Darüber hinaus ist die Möglichkeit das ich als Einzelperson ins Internet gehen kann, mich informieren, auch lokal nach Interessengruppen oder Freizeitangeboten schauen kann ein niedrigschwelliger Zugang mich auf neue Art und Weise sozial integrieren zu können. Ist doch die Zahlen der Vereinsamung auch und gerade bei älteren Menschen besonders hoch. Wo zuvor noch Altersarmut und Scham eine grosse Rolle spielten sind Lebensformen wie „Wohnen Alt und Jung“ wachsend. Wir spüren gegenseitig wieder gebraucht zu werden und das Rentendasein ist kein Abstellgleis mehr.
„Viele ältere Menschen sind sportlich aktiv, digital vernetzt, kulturell interessiert und leben mitten in der Gesellschaft. Sie wollen keine standardisierte Aktivierung, sondern ein Angebot, das zu ihrer Lebensrealität passt“, sagt der vortragende Sportwissenschaftler. Zentrale These seines Vortrags beim Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG): Die älter werdende Gesellschaft ist heute deutlich heterogener als noch vor wenigen Jahrzehnten. Pauschale Altersbilder und defizitorientierte Vorstellungen vom „alt sein“ greifen zu kurz – sowohl im gesellschaftlichen Diskurs als auch im medizinischen Handeln.
Vielleicht ist ein Umdenken dahingehend erforderlich, zu reflektieren, dass die Lebensqualität der letzten fünf oder zehn Jahre eines Lebens so drastisch zurückgehen könnten, weil sich darin der Werdegang eines Lebens deutlich machen könnte der mit viel Schonung und möglichst wenig Bewegung einhergegangen sein kann?
Denkt man hier von hinten her, dann finden sich schnell neue Lebensbejahende Perspektiven und Motivationen.
Wenn Schonung und Bewegungsmangel vorherrschten, dann dürfte dahinter auch immer der Wunsch zum Ausgleich im Berufsleben stattgefunden haben, was die Unausgewogenheit durch das beruflich-soziale Leben deutlich zeigt – ein Problem bestehender Systeme.
Während die USA aktuell aus der WHO den Rückzug suchen ist greifen für Prof. Thiel die Bewegungsempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu kurz: „Wir brauchen mehr als allgemeine Richtwerte – wir brauchen individualisierte, lebensweltbezogene Konzepte, die der Vielfalt älterer Menschen gerecht werden“, so Thiel.
Körperliche Aktivität als biopsychosoziale Ressource
In seinem Vortrag nimmt Thiel eine biopsychosoziale Perspektive ein und zeigt, dass Bewegung weit mehr ist als ein Mittel zur Sturzprävention oder zur Erhaltung von Muskelkraft. Körperliche Aktivität wirkt sich nachweislich positiv auf psychisches Wohlbefinden, soziale Teilhabe und die Lebensqualität im Alter aus. Entscheidend sei dabei aber nicht nur das Ob, sondern auch das Wie der Aktivierung: „Das Bewegungsbedürfnis ist hochgradig individuell, genauso wie das passende Maß an Bewegung und das richtige Setting. Wer das ignoriert, wird viele Menschen nicht erreichen.“ Es sei daher notwendig, Bewegung im Alter neu zu denken: weg von eindimensionalen Trainingszielen hin zu einem vielfältigen, lebensweltorientierten Verständnis von körperlicher Aktivität.
Forderung: Nicht mehr nur am chronologischen Alter orientieren!
Thiel fordert eine konsequente Abkehr von der Orientierung am chronologischen Alter. Denn Alter allein sage wenig über die tatsächlichen Ressourcen und Bedürfnisse eines Menschen aus. „Wir müssen endlich aufhören, das chronologische Alter als Hauptkriterium für gesundheitliche Interventionen zu nutzen. Entscheidend ist nicht die Zahl der Lebensjahre, sondern das Zusammenspiel aus individueller Biografie, Motivation, psychosozialem Umfeld und körperlicher Verfassung.“
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Mabel Amber Pixabay



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