JLU-Studie zeigt: Wird ein Nutzen durch eine Schmerzdarstellung vermutet, vertrauen Menschen stärker der Mimik und weniger verbalen Angaben
Gießen/Germany, 18. November 2025. – Eine Person im Umfeld zu beobachten, die sich aufgrund eines möglichen Schmerzes auffällig verhält, ruft in der beobachtenden Person die Frage nach Empathie ab. Dabei geht es vor allem um die Abwägung, ob jemand oder auch wie schwerwiegend Schmerzen sind, richtig einzuschätzen. Bewusste Einschätzung geschieht meist dann, wenn man selbst in irgendeiner Form von ähnlichem Leiden betroffen ist.
Unbewusst dann, wenn entsprechende Schmerzen in der Vergangenheit bereits erlebt und verarbeitet wurden. Schmerz, eigenes Leiden macht in aller Regel empathisch, einfühlsam und führt bis hin zu einem potenziellen altruistischen Verhalten. Sinngemäss, „ich helfe dir, weil ich mir wünsche das auch mir jemand hilft, wenn ich in einer solchen Situation oder gar körperlich verletzt bin“.
Aktives aktuelles Leiden unterscheidet sich zu bereits verarbeiteten Leidenswegen dadurch, das bereits eine Souveränität entwickelt wurde. Die Einschätzung wie und ob Jemand leidet und der eigene Umgang damit werden größtenteils souverän, also auch vertrauenerweckend bewältigt.
Einschätzungen solcher Art finden ihren Einstieg durch nonverbale Kommunikation oder durch verbale Äußerungen Betroffener. Mikroexpression bezeichnet die Mikromomente von Gesichtszügen die Menschen im Verlauf des Lebens lernen und sich darauf erwünscht oder nicht einverleiben, ausprägen, sich sensibilisieren. Problematisch bleibt immer, ob ein schmerzvolles Verhalten inszeniert wird, um einen Vorteil zu erlangen. Dabei lernt das Gegenüber mit solchen Täuschungen in der Regel umzugehen, was keinesfalls schützen muss. Letztlich erfolgt aus dieser Vielzahl an Erfahrungen die zur Menschenkenntnis führen, die erfolgreiche Einschätzung von Verhaltensmustern.
Weil sich auch die Künstliche Intelligenz mit Emotionen und darstellender Kommunikation befasst, macht die Erforschung bis auf die Ebene zur Algorithmenbildung auch hier keinen Halt. Die Fähigkeit einer Künstlichen Intelligenz sich auf verbale und nonverbale Kommunikation eines lebenden Menschen einzulassen.
An der Stelle muss man vielleicht hinzufügen, die Gesichtsmuskulatur ist die einzige im menschlichen Organismus, die nicht ausschließlich über Knochengelenke verläuft. Ein Teil ist am Schädelknochen befestigt, der andere unmittelbar am Muskelgeweben, am Gesichtsgewebe. Die Folge, Veränderungen der Charakterbildung von Menschen führen relativ schnell zu Gesichts- und damit mimischer Veränderung. Jemand der permanent am Lügen wäre oder Intrigen führt, dem sieht man das durch das Gesicht in aller Regel schnell an. Verbesserungen im Charakter zeigen sich demnach ebenfalls in einer überschaubaren Zeit im Gesicht. Momentaufnahmen des Lebens, wenn man sich verändert, anpasst.
Man weiß vielleicht nicht, woran es auszumachen ist, aber die erlernte Einschätzung hilft diese Gesichtszüge zuzuordnen. Genauso spricht man im anderen Fall von einem Kongruenten verhalten, wenn das innere Wesen eines Menschen mit seinem Äußeren übereinstimmend wirkt. Meist bei Menschen der Fall die in der Öffentlichkeit stehen. Denn diese sind aufgrund ihrer öffentlichen Präsenz frei von Scham oder auf einem niedrigen Schamlevel.
Ein Wissenschaftsteam der Universität Gießen hat nun festgestellt, das die stärke, der Hinweise bei einer Beurteilung berücksichtigt werden vom sozialen Kontext abhängen.
Wenn durch den sozialen Kontext der Verdacht besteht, dass jemand durch die Darstellung von Schmerz einen Vorteil erlangen könnte, verlassen sich Menschen bei der Beurteilung des Schmerzes anderer vor allem auf deren Gesichtsausdruck, sagt Prof. Dr. Christian Hermann, Leiterin der Abteilung für klinische Psychologie.
An der Studie nahmen 106 Personen teil, die zunächst in verschiedene soziale Situationen eingeführt wurden. Ihnen wurde berichtet, es gehe um Patientinnen und Patienten, die wegen chronischer Schmerzen in einer Schmerzklinik seien. Dann sahen die Teilnehmenden Videoclips von Frauen, die unterschiedlich starke Schmerzen beschrieben und Gesichtsausdrücke zeigten, die Schmerz signalisierten oder nicht. Diese stammten aus einem anderen Forschungsprojekt und zeigten Personen, die während der Aufnahme tatsächlich Schmerzen hatten. Die Teilnehmenden, die diese Videos sahen, sollten anschließend sowohl die Schmerzintensität einschätzen als auch angeben, wie schwierig sie die Bewertung fanden. Abschließend beurteilten sie anhand von Fotos, wie sympathisch ihnen die in den Videos gezeigten Frauen erschienen.
Die Ergebnisse zeigen, in Kontexten, in denen die Beurteilenden den Eindruck hatten, dass jemand durch die Darstellung von Schmerz einen Vorteil erzielen könnte – in der Studie war es eine (hypothetische) neue, sehr kostspielige Behandlungsmethode –, verließen sie sich stärker auf die Gesichtsausdrücke und weniger auf verbale Schmerzangaben. Widersprüchliche Hinweise, etwa wenn das Gesicht Schmerzen zeigte, die Person aber von geringen Schmerzen sprach, wurden als besonders schwierig zu beurteilen empfunden. Zudem schätzten die Teilnehmenden Fotos der Frauen, die in den Videos ihre Gesichter vor Schmerz verzogen hatten, als weniger sympathisch ein.
„Unsere Studie macht ein zentrales Dilemma in der Schmerzkommunikation deutlich: Verbale Schmerzangaben werden häufig als absichtlich und potenziell manipulierbar wahrgenommen, weshalb ihnen – je nach sozialem Kontext – weniger Vertrauen entgegengebracht wird“, so Erstautorin Dr. Judith Kappesser. Gesichtsausdrücke des Schmerzes gelten dagegen als glaubwürdiger, führen jedoch dazu, dass die betroffenen Personen weniger positiv wahrgenommen werden. Kappesser betont: „Vor allem Beschäftigte im Gesundheitswesen sollten für den Einfluss sozialer Kontexte auf die Schmerzbeurteilung sensibilisiert und in schwierigen Entscheidungssituationen unterstützt werden – ganz im Sinne des Psychologen Daniel Kahneman, der empfahl: „Menschen sollten Situationen erkennen, in denen sie anfällig für Verzerrungen sind – und dann ihre eigenen Urteile hinterfragen.““
Derzeit läuft eine weitere Studie in der Abteilung für Klinische Psychologie, bei der geprüft wird, ob sich die Ergebnisse auch auf Männer mit Schmerzen übertragen lassen. Zudem wollten die Forschenden herausfinden, ob das Alter der Frauen und Männer in den Schmerz-Videos eine Rolle spielt für die Beurteilung des Schmerzes durch Dritte.
Originalpublikation:
Judith Kappesser, Amanda C. de C. Williams, Christiane Hermann: Social context affects observers‘ weighting of facial and verbal cues in estimating another’s pain, The Journal of Pain, Volume 38, 2026, https://doi.org/10.1016/j.jpain.2025.105581
Bildquelle
Engin Akyurt Pixabay
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