Konzertatmosphäre

Je älter wir werden, desto spezieller und ausgeprägter der Musikgeschmack


Das Gefühl oder die Beobachtung das sich bestimmte Dinge, wie im Falle der Studie die Musik im Laufe des Lebens verändert hat, muss nicht einem allgemeinen Trend folgen, sondern kann eine Frage der eigenen Wahrnehmung entsprechen. Forscherinnen und Forscher der Universität Göteborg konnten aus 15 Jahren Hördaten zeigen, das sich der Musikgeschmack mit wachsendem Alter verfeinert.

Göteborg/Sweden, 12. September 2025. – Musik verbindet Menschen, zerbricht oft Feindschaft, überwindet Trennung und Konflikte. Musik ruft Emotionen hervor und beinhaltet nicht umsonst die Lehre von der Harmonie. Damit ist Musik ein starkes Merkmal von und für Identität. Was wir hören hängt aber stark vom Alter ab und beweist damit den Verlauf eines bestehenden und funktionierenden Lebenszyklus. In verschiedenen Zyklen menschlichen Lebens hört und versteht man Musik mit anderen Ohren.

Eine international angelegte Studie der Universität Göteborg, der Universität Jönköping und der Universität Primorska zeigen, dass jüngere Nutzer ein breites Spektrum zeitgenössischer Popmusik hören und Trends in der Popkultur folgen.
Geht es aus der Phase der Adoleszent, – aus der Jugend in das frühe Erwachsenenalter, erweitern sich Musikgewohnheiten. Neue Künstler und Genres werden entdeckt, Musikhören wird vielfältiger-Das Spektrum verengt sich aber im Hinblick auf das weiter fortschreitende Alter. Die Musikauswahl wird persönlicher, frühe Erfahrungen und Sozialisierungen gewinnen an gedanklicher Dominanz.

„Wenn man jung ist, möchte man alles erleben. Man geht nicht zu einem Musikfestival, um nur eine bestimmte Band zu hören, aber wenn man erwachsen wird, hat man in der Regel einen Musikstil gefunden, mit dem man sich identifiziert. Die Charts verlieren an Bedeutung“, sagt der Mitautor der Studie, Alan Said, Associate Professor für Informatik an der Universität Göteborg.

Die Forscher verwendeten Daten des Musikdienstes Last.fm, auf dem Nutzer ihre Musikgewohnheiten von Plattformen wie Spotify teilen. So lässt sich ein persönliches Musikprofil erstellen und ein Überblick über das eigene Musikverhalten gewinnen.

Da Last.fm-Nutzer bei der Registrierung ihr Alter angeben können, war es möglich, die Hörgewohnheiten mit dem Alter zu verknüpfen. Die Studie basiert auf Daten aus 15 Jahren und umfasst mehr als 40.000 Nutzer. Die Daten enthalten über 542 Millionen Wiedergaben von mehr als 1 Million verschiedenen Songs.

„In der Studie können wir verfolgen, wie sich das Musikhören über einen längeren Zeitraum verändert. Wenn Unternehmen wie Spotify versuchen, Musikempfehlungen für ihre Kunden zu entwickeln, betrachten sie nicht unbedingt die Hörgewohnheiten während des gesamten Lebens der Nutzer“, sagt Alan Said.

Nostalgie als starke Triebkraft
Musikhören verändert sich im Verlauf des Lebens ständig. Doch die Jugendzeit, eine Zeit in der Revolution gegen die Herkunft wirkt, in der es um das Aufbegehren gegen Autorität und Scham geht, um die Orientierung an Loyalität, völlige Widersprüchlichkeiten aufeinander stossen und man auf dem Höhepunkt der eigenen Identitätsfindung steht, bleibt auch als sensibles Thema im späteren Lebensalter erhalten. Diese Phase wird für spätere Zeiten zu einer starken Triebkraft, die Musik der eigenen Jugendzeit wird zum Soundtrack des Lebens.

Bei älteren Hörern gibt es zwei Muster: Sie beschäftigen sich weiterhin mit neuer Musik, kehren aber gleichzeitig immer wieder zu Songs aus ihrer Jugend zurück.

Der Musikgeschmack wird auch mit zunehmendem Alter individueller. Teenager haben oft viele Lieblingssongs gemeinsam mit Gleichaltrigen. Mit zunehmendem Alter wird dies schwieriger. Die Differenzen sind häufig extrem, polarisierend, von Death Metal über Genesis bis hin zu Reggae sind die Differenzen erheblich unterschiedlich. „Die meisten 65-Jährigen begeben sich nicht auf eine musikalische Entdeckungsreise“, sagt Alan Said.



Verbesserte Empfehlungen
Für Unternehmen oder Einzelpersonen, die hinter einem Empfehlungssystem stehen, wie beispielsweise Spotify mit seinen Vorschlägen für neue Musik an seine Nutzer, stellen die Ergebnisse der Studie wichtige Herausforderungen und Chancen dar.

Eine solche lebenslange Analyse der Hörgewohnheiten war bis vor kurzem nicht möglich, einfach weil es sie bisher noch nicht lange genug gab.

„Ein Dienst, der allen Nutzern auf die gleiche Weise die gleiche Art von Musik empfiehlt, läuft Gefahr, die tatsächlichen Wünsche der verschiedenen Gruppen zu verfehlen. Jüngere Hörer profitieren möglicherweise von Empfehlungen, die die neuesten Hits mit Vorschlägen für ältere Musik mischen, die sie noch nicht entdeckt haben. Hörer mittleren Alters schätzen eine Balance zwischen Neuem und Vertrautem, während ältere Hörer individuellere Empfehlungen wünschen, die ihren persönlichen Geschmack und nostalgische Erinnerungen widerspiegeln“, sagt Alan Said.


Exkurs
Wie Menschen durch das Leben gehen, wie sie sich kommunizieren und auf sich Wirken ist letztlich stark von der Individualentwicklung und der möglichen Sozialisierung abhängig. All das kommunizieren Menschen nach außen und nehmen in sich auf. In den Lebensweisen zeigt sich oft was in Menschen steckt, im Falle von Musik als identitätsstiftende Sozialisierung macht sie ihren gesellschaftlichen Einfluss in späteren Jahren unterschwellig geltend.

In jeder Phase eines Lebens besteht eine Wechselwirkung zwischen zwei Kernfragen der eigenen Identität. Verläuft eine Phase erfolgreich, dann schließt diese vor der nächsten ab und hält sich stabil durch das Leben. Verläuft diese nicht stabil, ist man schwankend und geht als unabgeschlossen in die nächste Stufe über. Die Identitäten werden unübersichtlich und vermischen sich. Das Herausbilden einer Identität ist von erheblichen Störungen umgeben, ggfl. Unmöglich.
Weiterhin werden diese Phase durch mögliche, auch sehr wahrscheinliche voraus gegangene Traumata untergraben, getunnelt, so das Identitäten aus früheren Zeiten, der Vorfahren aus dem Unterbewussten in den Vordergrund dringen. Daraus resultierende Neurosen sind Gegenspieler der Entfaltung und können bis zur Vollständigen körperlichen Lähmung und Tod führen.

Hier bezog sich Erik Homburger Erikson auf die Vorarbeiten Freuds, einem bestehenden Ich/Über-Ich und dem Es. Das „Es“ ist die Gesellschaft, durch die der Mensch sozialisiert wird, das Über-Ich ist in der Regel die Familie oder Familienähnlich. Einer der Pläne des Lebens ist es, das ein Ich größer wird als das Es und das Über-Ich. Über die Wechselwirkung zwischen dem Durchdringen von Identitäten außerhalb der Persönlichkeit eines Menschen hat seinerzeit die Tochter Sigmund Freuds das bedeutende Werk, „Das Ich und die Abwehrmechanismen“ verfasst.
Gerade in Zeiten von Kriegen und Konflikten ist das Potenzial sich in Identitäten zu verlieren sehr gross und eine Orientierung in Richtung psychischer Stabilität, Gesundheit ein zukunftsträchtiges Hauptthema.
Ausserdem machen die Werke dieser Autoren deutlich, menschliche Bedürfnisse sind schon aufgrund der unterschiedlichen Lebens- und Identitätsphasen völlig unterschiedlich. Ein junger Mensch kann nicht die Erfahrung eines älteren untergraben. Ein Aufbegehren ist nur durch Identitätsdiffusion zwischen Generationen und zwischen horizontaler Vererbung möglich.


Konfliktphasen nach Erikson

AltersphaseKern-Konflikt (Konfliktphasen)
SäuglingsalteUrvertrauen vs. Ur-Misstrauen
KleinkindalterAutonomie vs. Scham und Zweifel
SpielalterInitiative vs. Schuldgefühl
SchulalterWerksinn (Selbstbewusstsein) vs. Minderwertigkeit
AdoleszenzIdentität vs. Identitätsdiffusion
Frühes ErwachsenenalterIntimität vs. Isolation
Erwachsenenalter Generativität vs. Selbstabsorption bzw. Stagnation
Reifes ErwachsenenalterIntegrität vs. Lebens-Ekel

Die Identität wird am Ende der Adoleszenz phasen-spezifisch, d.h. das Indentitätsproblem muss an dieser Stelle seine Integration als relativ konfliktfreier psychosozialer Kompromiss finden – oder es bleibt unerledigt und konfliktbelastet. (Erikson, 1973, S. 149).

Original publication:

https://dl.acm.org/doi/10.1145/3708319.3733673

Bildquelle
Olof Lönnehed, Our taste in music tends to become more narrow as we get older. Even though new artists and songs are still being released, nostalgia plays a greater role in middle age.


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