Gehtest

Biomarker für Gebrechlichkeit bei älteren HerzpatientInnen identifiziert


Gebrechlichkeit ist ein relevantes Syndrom im höheren Alter und hat insbesondere bei Herzerkrankungen eine erhebliche klinische Bedeutung. Ein interdisziplinäres Forschungsteam unter Leitung vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE), der Fakultät für Gesundheitswissenschaften (FGW) an der Universität Potsdam und dem Deutschen Herzzentrum der Charité hat nun in der Muskulatur älterer HerzpatientInnen das Gen-Protein S100A1 als potenziellen Biomarker und therapeutisches Ziel identifiziert, um dem Mobilitätsverlust und der Muskelschwäche frühzeitig entgegenwirken zu können. Die Ergebnisse wurden im Journal of Cachexia, Sarcopenia and Muscle veröffentlicht. Proteine sind für den Aufbau der Körpersubstanz verantwortlich, die in der Regel über die Nahrung zugeführt werden.

Potsdam/Germany, 10. Juni 2025. – Gebrechlichkeit, auch als Frailty-Syndrom bezeichnet, stellt ein zunehmendes Problem in der alternden Bevölkerung dar. Das Syndrom ist durch eine erhöhte Anfälligkeit für Stürze, Krankenhausaufenthalte, Komplikationen nach Operationen und eine allgemeine Verschlechterung der körperlichen Funktionsfähigkeit gekennzeichnet.

Als entscheidender Faktor für die Gebrechlichkeit älterer Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen gilt die eingeschränkte körperliche Leistungsfähigkeit. Um die gesundheitlichen und funktionellen Behandlungsergebnisse dieser Patientengruppe gezielt zu optimieren, ist ein besseres Verständnis der zugrunde liegenden biologischen Mechanismen unerlässlich.

Ziel der Studie war es daher, das Genexpressionsmuster verschiedener Ausprägungen (Phänotypen) körperlicher Gebrechlichkeit bei Älteren zu identifizieren, die sich einem herzchirurgischen Eingriff unterziehen mussten.

Während chirurgischer Eingriffe am Herzen wurden Gewebeproben aus dem Oberschenkelmuskel entnommen, um eine umfassende Genexpressionsanalyse durchzuführen und mittels bioinformatischer Auswertungen die molekularen Veränderungen in der Skelettmuskulatur zu erfassen.

Die WissenschaftlerInnen nutzten zudem einerseits Daten einer separaten Kohorte älterer, gesunder Personen und andererseits Untersuchungen im Zellkultur- und Tiermodell, um die ermittelten Ergebnisse zu validieren.

Schlüsselgen S100A1 im Fokus

Anhand der Genexpressionsanalysen identifizierte das Forscherteam zehn Gene, deren veränderte Expression mit allen drei Frailty-Phänotypen in Verbindung stand. Besonders auffällig war das Gen S100A1, das eine wichtige Rolle bei der Funktion der Skelett- und Herzmuskulatur spielt. PatientInnen mit niedriger Muskelkraft und verlangsamter Bewegung zeigten eine signifikant verminderte S100A1-Expression in den Muskelproben. Parallel dazu zeigte die Validierungskohorte, dass höhere S100A1-Blutwerte mit einer besseren Handgreifkraft korrelierten.

Auch ein funktioneller Zusammenhang konnte nachgewiesen werden. So bestätigten die Experimente in Muskelzellen, dass eine reduzierte S100A1-Expression zu einer gestörten Muskelentwicklung führt. Die verwendeten Mausmodelle zeigten zudem, dass genetisch bedingte höhere S100A1-Werte mit einer erhöhten Muskelmasse korrelieren und dass regelmäßiges Training die Genexpression zusätzlich verstärkt.

Erhalt der Mobilität und Lebensqualität im Alter

„Zum ersten Mal konnten wir zeigen, dass eine verringerte Genexpression von S100A1 in der Muskulatur mit Frailty-Phänotypen korreliert“, so Omar Baritello. Studienleiterin Heike Vogel interpretiert das Studienergebnis wie folgt: „Wir gehen davon aus, dass S100A1 eine zentrale Rolle bei der Regulation der Muskelgesundheit spielt und damit als Schlüssel zur Prävention von Gebrechlichkeit dienen könnte“. Die gewonnenen Erkenntnisse über die molekularen Mechanismen der altersbedingten Gebrechlichkeit legen nahe, dass S100A1 ein potentieller Biomarker für das Gebrechlichkeitsrisiko von älteren Menschen sein könnte. Zusätzlich bietet sich S100A1- als therapeutisches Ziel an, um die Muskelkraft und Mobilität bei älteren PatientInnen mit Herzerkrankungen frühzeitig zu verbessern.

Zukünftige Forschungsarbeiten werden sich darauf konzentrieren, S100A1 als klinischen Marker zu validieren und seine therapeutische Nutzbarkeit zu untersuchen. Dies beinhaltet die Entwicklung von Diagnostika, die den S100A1-Spiegel messen können, sowie die Erforschung von Strategien zur Modulation der S100A1-Expression, beispielsweise durch gezieltes Muskeltraining oder pharmakologische Interventionen. „Die Studie bringt uns dem Ziel näher, Gebrechlichkeit nicht nur besser zu verstehen, sondern sie frühzeitig zu erkennen und ihr aktiv entgegenzuwirken – und damit die Lebensqualität und Sicherheit älterer Menschen zu verbessern“, so Vogel.

Frailty

Der Begriff Frailty oder Gebrechlichkeit beschreibt ein geriatrisches Syndrom, das durch eine allgemein erhöhte Anfälligkeit älterer Menschen gegenüber exogenen Stressfaktoren wie z. B. Überlastung, Unruhe und Erkrankungen gekennzeichnet ist. Frailty entsteht durch ein Zusammenspiel von physiologischen Alterungsprozessen und ihren pathologischen Folgen. Es ist gekennzeichnet durch eine:
• unbeabsichtigte Gewichtsreduktion von mehr als 5 Kilogramm pro Jahr
• Abnahme der allgemeinen Körperkraft
• subjektiv empfundene Erschöpfung
• reduzierte Ganggeschwindigkeit und körperliche Aktivität.

Die drei Frailty-Phänotypen in der Studie

Die Mobilität wurde mittels Timed „Up and Go“-(TUG)-Test beurteilt. Dabei sitzt der/die PatientIn auf einem Stuhl mit Armlehne, steht nach Aufforderung auf, läuft eine Strecke von drei Metern, kehrt um und setzt sich wieder auf den Stuhl. Hilfsmittel wie Gehhilfen sind erlaubt, Hilfe von anderen Personen nicht. Währenddessen wird die Zeit gemessen.

Einstufung:
• ≥ 10 Sekunden: mäßig eingeschränkte Mobilität
• ≥ 20 Sekunden: starke Beeinträchtigung der Mobilität

Die Ganggeschwindigkeit wurde mit Hilfe des 5-Meter-Gehtests ermittelt.

Einstufung:
• ≥ 6 Sekunden: niedrige Ganggeschwindigkeit

Die Handgreifkraft wurde mittels eines Dynamometers gemessen. Dabei muss gegen einen festen Widerstand gedrückt werden.

Einstufung:
• Frauen: ≤ 16 kg | Männer: ≤ 27 kg: geringe Handgreifkraft

S100A1

Das Protein S100-A1, auch bekannt als S100 Calcium-bindendes Protein A1, ist ein Protein, das beim Menschen durch das S100A1-Gen kodiert wird. S100A1 wird im Herz- und Skelettmuskel stark exprimiert und spielt eine wichtige Rolle bei der Regulation der Kontraktionskraft und Calcium-Homöostase. Es wirkt schützend bei Herzinsuffizienz und wird auch mit neuronalen Funktionen sowie bestimmten Krebserkrankungen in Verbindung gebracht.



Originalpublikation:

Baritello, O., Sündermann, S. H., Espinosa-Garnica, K., Kempfert, J., Jähnert, M., Beetz, N. L., Geisel, D., Gaugel, J., Rominger, J., Müller-Werdan, U., Herpich, C., Norman, K., Chadt, A., Al-Hasani, H., Völler, H., Salzwedel, A., Vogel, H.: Transcriptomic Signature of Frailty in Older Patients With Cardiovascular Disease Undergoing Cardiac Surgery or TAVI. J Cachexia Sarcopenia Muscle 16(3):e13846 (2025). [Open Access]

DOI: https://doi.org/10.1002/jcsm.13846

Bildquelle
Ermittlung der Ganggeschwindigkeit mit Hilfe des 5-Meter-Gehtests.
David Ausserhofer, DifE


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